Sanus per Aquam – Thermen und Bäder als stark betroffene Einrichtungen der Daseinsvorsorge in der Corona-Krise mit großen Potenzialen danach

Die Bedeutung von Thermen und Bädern für Heilbäder und Kurorte steht außer Frage. Jährlich finden ca. 6,7 Mio. Reisen im Kontext von Erlebnis-/ Thermalbädern in Deutschland statt. Seit Anfang März wurden aufgrund behördlicher Anordnung nach und nach alle Schwimmbäder in Deutschland geschlossen. Durch die bundesweit verordneten Ausgangsbeschränkungen ist eine Wiedereröffnung auf unbestimmte Zeit ausgesetzt.

Wellnessmarkt Deutschland insgesamt und nach einzelnen Bereichen
(Darstellung nach:   beauty27/GfK/Wellness-Hotels & Resorts; 2018, www.beauty24.de)

Schließung in der Hauptumsatzzeit Frühjahr erhöht die Defizite der Bäder & Thermen weiter

Alleine in den Monaten März und April werden normalerweise insgesamt 16% der jährlichen Eintritte in Thermen und Bädern verzeichnet (dwif – Corona-Kompass). In diesen Monaten zählen „Besuch von Thermen, Wellnesseinrichtungen, Schwimmen und Wassersport“ zu den TOP-10 Aktivitäten von Tagesausflüglern. Die direkten wirtschaftlichen Einbußen für die Betreiber der Einrichtungen sind daher enorm: Je nach Größe des Betriebes kann mit einem Umsatzverlust von 50.000 – 100.000 € pro Woche gerechnet werden – von den indirekten und induzierten volkswirtschaftlichen Folgen ganz zu schweigen. Rücklagen sind in den oftmals defizitären Betrieben kaum vorhanden. Personal-, Energie- sowie intensive Reparatur- & Instandhaltungskosten übersteigen in vielen Fällen 50-60 % der Einnahmen. Hinzu kommen Ausfälle von Pachteinnahmen durch vermietete Flächen an Gastronomen, Wellness-/Therapieanbieter etc. Auch vorhandene Querfinanzierungen durch angedockte Hotels oder Wohnmobilstellplätze fallen komplett aus.

Herr Werner Angermüller (Geschäftsführer der Kur-Betriebs GmbH Bad Königshofen) konnte in den ersten beiden Monaten des Jahres ein Plus von 4-5% bei Ankünften, Übernachtungen und Thermengästen verzeichnen. Seit Mitte März ist der Betrieb des Bades nun vollkommen zum Erliegen gekommen. „Wir haben neben dem Bad auch noch eine Tourist-Info und die Kurmittel- bzw. Therapieabteilung in der FrankenTherme. Aber außer einigen Notfall-Behandlungen, wie sie z.B. nach Operationen notwendig sind, findet auch hier nichts mehr statt.“

Durch den Wegfall der Einnahmen in den kommenden Wochen wird der Zuschussbedarf von Seiten der ohnehin schon unter Duck stehenden Kommunen, Länder oder sonstigen Shareholdern weiter steigen.

Professionelles Stand-By, statt Schließung und Herunterfahren – Kostensenkungsmaßnahmen umsetzen

Wie in den meisten Betrieben müssen schnelle Entscheidungen v.a. zur Liquiditätssicherung getroffen werden: Resturlaube und einen Teil des Jahresurlaubs beanspruchen lassen, Überstundenabbau, nach und nach Übergang in die Kurzarbeit sowie Inanspruchnahme von Soforthilfen sind ein Teil der Möglichkeiten. Das Herunterfahren des Betriebs, dabei u.a. die Reduktion der Temperaturen im Wasser und der Luft auf ein mit der Kubatur verträgliches Niveau senken die Betriebskosten zudem.

Das Thema Personalmanagement ist in der Krisenzeit wichtiger denn je. Ein funktionierendes Team ist für den Stand-By, aber vor allem für die Inbetriebnahme von höchster Bedeutung: „Vor sechs Wochen haben wir uns darüber unterhalten, wie wir Fachpersonal zu uns in den ländlichen Raum bekommen“, so Herr Angermüller. „Jetzt sprechen wir von Kurzarbeit und schicken unsere Angestellten in den Urlaub. Gerade jetzt sehen wir wie wichtig es ist, ein engagiertes und eingespieltes Team zu haben. Meine Mitarbeiter durch die Krise zu bringen, um gemeinsam wieder durchstarten zu können, ist für mich derzeit das Wichtigste!“

„In der unfreiwillig gewonnen Zeit versuchen wir so gut es geht unser Personal zu schulen“, erklärt zum Beispiel auch Herr Jürgen Ankenbrand, Betriebsleiter der Therme Sinnflut in Bad Brückenau, verweist aber gleichzeitig darauf, dass das Kontaktverbot auch hier zum großen Teil den Einsatz der Digitalisierung bedingt. „Wie lange noch geschlossen bleiben wird, das weiß heute niemand genau. Aber wir könnten den kompletten Betrieb binnen maximal zwei Wochen komplett wieder hochfahren“.

Wie ein professionelles „Stand-By“ oder ein „Pandemieplan für Bäder“ aussehen kann, hat die Deutsche Gesellschaft für das Badewesen e.V. in mehreren Leitfäden zusammengetragen und stellt diese, sowie ausgewählte Richtlinien (u.a. zum Teillastbetrieb) kostenlos auf der Homepage www.baederportal.de zur Verfügung. Dabei spielen neben den technischen Voraussetzungen auch Maßnahmen zur Aufgabenverteilung und Mitarbeitermotivation eine wichtige Rolle.

Hohe Bedeutung von Thermen & Bädern nach der Krise als Refugium, zur Stärkung der Abwehrkräfte sowie zum Auftanken und Abschalten

Wie lange und tiefgreifend die Auswirkungen von COVID19 noch gehen werden kann zum jetzigen Zeitpunkt niemand voraussagen. Wovon wir an dieser Stelle zum jetzigen Zeitpunkt jedoch ausgehen – oder zumindest hoffen – können, sind die folgenden Punkte:

  1. Sobald Ausgangssperren und Reiseeinschränkungen aufgehoben sind, werden v.a. Tagesreisen in der Region und im Inland/Bundesland wieder unternommen – das Reiseverhalten wird zumindest kurz- bis mittelfristig nicht wie gewohnt stattfinden und sich in kleineren Radien bewegen. Etwas „Echtes“ und „Vertrautes“, das Stückchen Heimat wird für Menschen wichtiger sein. Der Geldbeutel wird nach Corona im Durchschnitt kleiner sein und der Urlaub und die Freizeitgestaltung entsprechend angepasst werden müssen. Die Leistungsanbieter müssen sich auf eine höhere Preis-Leistungs-Sensibilität und steigende Qualitäts- v.a. Hygieneerwartungen einstellen.   
  2. Die Krise wird beiderlei hervorrufen: Diejenigen, die ihre „Gefangenschaft und Lethargie“ durch Extreme und Abenteuer kompensieren wollen und diejenigen, die durch die Herausforderungen und den psychischen Stress der letzten Wochen Abstand und Ruhe gewinnen wollen. Die Wiedereröffnung der Freizeiteinrichtungen nach COVID 19 wird sukzessive erfolgen. Dabei sind Thermen & Bäder wesentliche Einrichtungen: Durch das Chlor besteht keine Übertragungsgefahr des Erregers durch das Wasser (Stand 24.03.2020). Zudem wird nach der Krise ein erhöhter Bedarf an Entspannung und körperlichem Wohlbefinden bei den Menschen vorhanden sein.
  3. Themen wie Gesundheit und Gesundheitsversorgung, Prävention und Resilienz werden künftig grundsätzlich weiter an Bedeutung gewinnen. Dabei spielen Thermen und Bäder eine wichtige Rolle als Grunddaseinsversorgungseinrichtung mit hohem gesundheitlichem Mehrwert. Für die älter werdende Bevölkerung (also eine der heutigen Risikogruppen) spielten Thermen und Kurmittelabteilungen aufgrund ihrer Angebotsstruktur und hohen Angebotsqualität eine große Bedeutung als gut erreichbare Einrichtung zur Gesundheitsversorgung und –vorsorge. Wie wichtig ein gesunder Körper gerade im Alter ist und welche Vorteile ein gesunder Lebensstil bietet ist spätestens jetzt überall in der Gesellschaft angekommen.

Vielleicht schafft es die Krise sogar ein Umdenken im Gesundheitswesen einzuläuten, von dem dann die Heilmittel und somit die Gesundheitsanbieter in Heilbädern und Kurorten profitieren. Die Notwendigkeit einer Repositionierung und Neubewertung der Prioritäten auch mit Blick auf Rehabilitation Kuration und Prävention sowie Resilienz ist jedenfalls eines der Learnings, die aus der Corona-Krise gezogen werden können. Gesundheitsorientierte Thermen können hier in jedem Fall künftig eine bedeutende Rolle einnehmen.

Weiterlesen

Umfrage – Kurorte-Klima: Überblick über die aktuelle Geschäftslage und Auswirkungen auf Heilbäder und Kurorte.

Auch weiterhin ist die Lage dramatisch. Inzwischen verzeichnen wir weltweit über 838.000 Infektionsfälle durch das Coronavirus (COVID-19). Mehr als 68.000 der Infektionsfälle werden in Deutschland gemeldet (Johns Hopkins University, Stand: 31.03.2020, 20:38 Uhr). Die Zahlen der Corona-Virusinfektionen steigen weiterhin. Allerdings verlangsamt sich der Anstieg der Fallzahlen stetig. Das Ausmaß der Pandemie ist jedoch bis heute unklar. Forscher versuchen einen Blick in die Zukunft zu wagen und spielen mehrere Szenarien durch, um die Auswirkungen und Folgen der Pandemie zu bewerten.

Um Transparenz und klare Fakten zur Lage in den Heilbädern und Kurorten zu schaffen, führen wir seit dem 17.03.2020 wöchentlich die Kurzbefragung „Kurorte-Klima“ durch. Heute ziehen wir nach 14 Tagen eine erste Zwischenbilanz und stellen Ihnen die Ergebnisse der ersten und zweiten Befragungswoche vor:

Geschäftslage und Geschäftserwartungen zeigen: Besserung ist absehbar nicht in Sicht.

Viele Akteure im Tourismus befinden sich seit einigen Wochen in der ersten Phase der Corona-Krise. Diese ist von Reiseverboten, Quarantäne, Ausgangsbeschränkungen und wirtschaftlichen Problemen geprägt. Insbesondere die sozialen und ökonomischen Auswirkungen der Krise sind bis heute nicht absehbar. Untersuchungen und Analysen unterschiedlichster Forscher veröffentlichen nach und nach Einschätzungen und Bewertungen der Situation, sodass wir immer mehr Informationen erhalten. Diese Informationen verunsichern insbesondere die Nachfrageseite. Ob eine Reise in diesem Sommer möglich ist? Diese Frage kann heute niemand beantworten. Die Verlängerung der Ausgangsbeschränkungen und die Kontaktverringerungen zeigen, dass keine Entwarnung in Sicht ist. Die flächendeckenden Schließungen von Einrichtungen aller Art führen zu existenziellen Problemen, Insolvenzen speziell auch im Gastgewerbe, u.ä. – Wer weiß wie viele Einrichtungen den Weg aus der Krise finden? Das Ergebnis der Befragung ist somit keine Überraschung: Die gegenwärtige Geschäftslage wird in der zweiten Befragungswoche (24.03. bis 31.03.2020) noch schlechter eingeschätzt als vor einer Woche. Dementsprechend wird auch die Geschäftserwartung für die nächsten drei Monate gleichbleibend schlecht bewertet. Einige wenige Optimisten blicken positiv in die nahe Zukunft. Hingegen bewerten knapp zwei Drittel der Teilnehmer die Zukunft noch schlechter als die Gegenwart. Ist die Spitze der Belastung noch nicht erreicht? Kann es noch schlechter werden?

Sparmaßnahmen bestimmen im Moment das Handeln der Orte

Die Ergebnisse aus dem Bereich „Rückgänge und Neubuchungen“ zeigen: Es hat alle getroffen – touristische Aktivitäten gibt es gegenwärtig nicht. Wenn es einige wenige Neubuchungen gibt, liegen diese in Relation zu den Vorjahren unter 25%. Aber: Es zeigen sich auch gleichzeitig optimistischere Sichtweisen. Im zweiten Quartal des Jahres werden Buchungen erwartet. Die Hoffnung ist vorhanden. Einige fordern heute schon die strengen Corona-Maßnahmen wieder zu lockern. Antworten auf die Fragen „Wie lange werden die Ausgangsbeschränkungen noch anhalten?“ und „Wann wird das Reiseverbot gelockert oder gar aufgehoben?“ sind im Moment reine Spekulation.

Die Lage ist ungewiss und gleichzeitig gegenwärtig eindeutig. Entsprechend haben auch die Heilbäder und Kurorte erste Maßnahmen zur Kostenreduzierung eingeleitet. Dabei stehen die Kürzung von (Marketing-) Budgets und auch die Verschiebung von Ersatz- und Neuinvestitionen in beiden Wochen an erster Stelle. Zusätzlich war die erste Woche geprägt von Maßnahmen wie Überstunden- und Urlaubsabbau, Verlagerungen der Mitarbeiter, u.ä. Die zweite Woche zeigt, dass diese Maßnahmen nicht ausreichen. Drastischere Maßnahmen wurden ergriffen – der Ernst der Lage ist angekommen. Dazu gehören unter anderem Haushaltssperren aber auch Kürzungen bei Dienstleistern.

Chancen für Heilbäder & Kurorte als gesundheitliche Kompetenz- und Versorgungszentren am Horizont

Nichtsdestotrotz: Wir möchten den Heilbädern und Kurorten Mut machen, denn es wird einen „Wiederstart“ und einen „Wiederaufbau“ geben. Die Heilbäder und Kurorte sind gesundheitliche Kompetenz- und Versorgungszentren und verfügen über spezielle Indikationen. Mit der heute schon bestehenden Infrastruktur von Kur- und Rehabilitationsärzten, spezialisierten Kur- und Fachkliniken und weiteren kurörtlichen Einrichtungen (Kurpark, Kurmittelhaus, etc.) sind diese rund 350 Heilbäder und Kurorte heute schon auf einige Folgen der Corona-Krise vorbereitet. Welche Folgen und Perspektiven für die Heilbäder und Kurorte bestehen, werden wir Ihnen in einem der folgenden Blogbeitrage erläutern.

Gerne möchten wir Sie heute schon bitten, sich an der Befragung auch in dieser Woche zu beteiligen. Auch weiterhin werden wir Ihnen in regelmäßigen Zeitabständen Auswertungen vorstellen. Haben Sie Rückfragen? Sprechen Sie uns gerne an!

Beherbergungsbetriebe sind wesentliche Schlüsseleinrichtungen der Heilbäder & Kurorte in Deutschland – Ausgewählte Maßnahmen zur Nutzung der finanziellen Soforthilfen und zur generellen Liquiditätsverbesserung

Die aktuelle durch das Virus COVID-19 ausgelöste Situation stellt vor Allem die Tourismus- und gastgewerbliche Branche vor noch nie da gewesene Herausforderungen. Denn vor Allem die Besonderheit, dass die Leistungen dieser Branche nicht lagerfähig und damit die Ertragsfähigkeit nur mit der persönlichen Anwesenheit der Gäste, Besucher und Touristen gewährleistet ist, trifft damit das Gewerbe besonders hart und mit als Erstes.

Reserven sind schnell aufgebraucht, existenzbedrohliche Liquiditätsengpässe in kurzer Zeit erreicht.

Demzufolge sind Reserven schnell aufgebraucht und existenzbedrohliche Liquiditätsengpässe in kurzer Zeit erreicht. Was kann man also tun, um die Einbußen einzudämmen? Welche finanziellen Hilfen stehen zur Verfügung? Wie kann ein Antrag bei der Hausbank gestellt werden und wie müssen die hierzu erforderlichen Informationen aufbereitet sein? Nur wenige der aktuellen Fragen, die sich Unternehmer im Gastgewerbe alleine hinsichtlich der nachhaltigen Liquiditätssicherung stellen.

Erst gestern wurde seitens des Bundes und teils schon letzte Woche der Bundesländer und Kreditinstitute kurzfristige Liquiditätshilfen in nie dagewesenem Umfang für alle Branchen und Unternehmensgrößen auf den Weg gebracht. Dabei konzentrieren sich die aktuell diskutierten finanziellen Soforthilfen vorrangig auf folgende Unterstützungen:

  • Gewährung von zinsgünstigen Krediten vorrangig von Betriebsmittel- und Überbrückungskrediten
  • Übernahme von Bürgschaften durch die Mittelstandsbank
  • Erhöhung der Haftungsfreistellung für die durchleitende Bank (in der Regel die Hausbank)
  • Nicht rückzahlbare Zuschüsse für Klein- und Kleinstunternehmen bis 15.000 € für 3 Monate
  • Stundungen von Steuerschulden, sowie Herab- oder Aussetzen von Steuervorauszahlungen u.a. Umsatzsteuer, Einkommenssteuer und Gewerbesteuer,
  • Aussetzen der Zahlungen der Sozialabgaben

Flut an Kreditanfragen wird Banken überrollen.

Es ist damit zu rechnen, dass Banken in kurzer Zeit durch eine Flut an Kreditanfragen überrollt werden. Kreditinstitute stehen damit vor der Herausforderung, sich innerhalb kurzer Zeit einen Überblick über die Bonität, den erforderlichen Kapitalbedarf und die Fortführungsprognose einzelner Betriebe zu verschaffen. Nicht selten fehlen jedoch den sachbearbeitenden Mitarbeitern Branchenkenntnis der Hotellerie und Gastronomie. Seitens der Banken muss daher in kurzer Zeit der Spagat gelingen, einerseits den Betrieben die absolut notwendige Hilfe zukommen zu lassen und andererseits Fördermaßnahmen verantwortungsbewusst und gerecht zu verteilen.

Grundsätzlich ist dabei zu beachten, dass bei Genehmigung von Fördermaßnahmen die üblichen Voraussetzungen hinsichtlich der Bonität zu erfüllen sind. Das bedeutet, dass mit Krediten nur Betriebe gefördert werden, die vor Eintritt der Krise über eine solide Bonität verfügten. Für Betriebe, die hingegen bereits vor Eintritt von COVID-19 wirtschaftliche Probleme hatten, dürfte es hingegen schwer sein, Förderungen über die kleineren Zuschüsse hinaus auszuschöpfen. Insofern ist es wichtig, bei der Beantragung von Fördermaßnahmen einen Nachweis über die grundsätzliche Kreditwürdigkeit zu erbringen, beispielsweise durch Darlegung der bisherigen Ergebnisentwicklung üblicherweise durch Vorlage der Gewinn- und Verlustrechnung oder der Jahresabschlüsse der zurückliegenden drei Jahre. Zudem ist die Erstellung einer plausiblen und realistischen Liquiditätsplanung für die kommenden Monate erforderlich, aus der der tatsächlich erforderliche Kapitalbedarf zum Erhalt des gastgewerblichen Betriebes hervorgeht. Dabei sollte auf einer übersichtlichen Aufbereitung der Unterlagen und Zusammenfassung wesentlicher Informationen geachtet werden.

Ergänzend dazu soll nachfolgende Checkliste Sofortmaßnahmen in Krisensituationen für Sie bzw. Ihre Betriebe vor Ort Anregungen geben, wie die Verluste reduziert und somit Liquiditätsengpässe vermieden, bzw. hinausgezögert werden können. Die Auflistung dient einer ersten Hilfestellung und wird entsprechend der sich täglich ändernden Rahmenbedingungen weiterentwickelt und ist daher ohne Gewähr auf Vollständigkeit. Sicherlich haben die einen oder anderen Betriebe teils notgedrungen einige der Maßnahmen bereits umgesetzt oder gar zwischenzeitlich vorübergehend geschlossen. Teilen Sie dennoch die Informationen mit den Leistungsträgern in Ihrem Ort oder Ihrem Netzwerk, um den Betrieben (weitere) Anregungen oder Tipps zu geben.


Checkliste an Sofort Maßnahmen für Beherbergungsbetriebe in Krisensituationen auch mit kommunaler Unterstützung (ohne Anspruch auf Vollständigkeit)

Kommunale Maßnahme

  • Überprüfung der Aussetzung der Fremdverkehrsabgabe, bzw. Erstattung des Beitrages für 2019
  • Überprüfung der Umnutzung von Reha-Kliniken oder Hotels zu Behandlungszentren
  • Zentrale Koordinierungs- und Informationsstelle (Bündelungsfunktion) als Ansprechpartner für die Leistungsträger
  • Kontinuierliches Monitoring der Entwicklungen und regelmäßige Informationen mittels Newsletter o.a.

Operative Maßnahme

  • Leistungsangebote verringern, Teilbereiche der Hoteleinrichtungen schließen
  • Insbesondere Speisenangebot reduzieren
  • Ergänzung des eigenen Angebotes um Speisen und Getränke to Go
  • Einrichtung eines Lieferservice für hilfebedürftige Anwohner
  • Zwischenvermietung der Zimmer als Homeoffice
  • Freistellung von Aushilfen und externen Mitarbeitern

Maßnahmen Sales & Marketing

  • Kunden- und Vertrauensbildung: Regelmäßige Informationen und offene Kommunikation mit den bestehenden Gästen
  • Stornierung: Nach Möglichkeit zur eigenen Existenzsicherung Einfordern der vereinbarten Stornierungsgebühren oder Umwandlung in Gutscheine für spätere Buchungen
  • Anreize schaffen für Barzahlungen, bzw. EC Zahlungen

Sicherung Arbeitsplätze

  • Beantragung von Kurzarbeitergeld
  • Abbau von Überstunden, bzw. Aufbau von Minusstunden bei festangestellten Mitarbeitern
  • Abstimmung mit dem Mitarbeiter über Abbau von Rest-Urlaub und Anordnung von Urlaub
  • Mit Mitarbeitern über unbezahlten Urlaub abstimmen
  • Abteilungsübergreifender Einsatz der Mitarbeiter
  • Übernahme bislang fremdvergebener Aufgaben (z.B. Reinigung) durch eigenen Personal

Maßnahmen zur Liquiditätssicherung

  • Ermittlung des Kapitalbedarfs anhand einer kurzfristigen Liquiditätsplanung
  • Zahlungsziele der Kunden verkürzen
  • Bar- und EC-Zahlungen fordern
  • Beantragung eines Überbrückungskredites
  • Beantragung der Stundung von Umsatz- und Einkommenssteuervorauszahlung über den Steuerberater
  • Beantragung der Stundung der Sozialversicherungsbeiträge bei der Krankenkasse
  • Prüfung möglicher aktueller Förderprogramme u.a. KfW Unternehmerkredit; KfW Sonderprogramme, Bürgschaften der Bürgschaftsbank, Betriebsmittelkredite bei der Hausbank
  • Verhandlung mit der finanzierenden Bank über Stundung der Annuitätenraten
  • Verhandlung mit dem Vermieter/Verpächter über eine vorübergehende pachtfreie Zeit oder Umwandlung in eine umsatzabhängige Pacht
  • Verlängerung der Zahlungsziele mit Lieferanten, bzw. Vereinbarung von Ratenzahlung oder vorzeitige Einforderung von Rückvergütungen  (è Verzicht auf Skonto)
  • Nutzung Kontokorrentkredit und Vereinbarung mit der Hausbank über Aussetzung des Überziehungszinses
  • Verkauf nicht betrieblich notwendiger Wirtschaftsgüter oder Anlagen und Grundstücke
  • Überprüfung Sales and Lease Back z.B. bei PKWs, IT Hardware, Küchengeräten
  • Erhöhung Lagerumschlagshäufigkeit, das heißt Lagebestände reduzieren,
  • Verzicht auf geplante Investitionen und Konzentration ausschließlich auf betrieblich notwendige Maßnahmen

Sollten Sie weitere Hinweise und Ideen zur möglichst direkten Umsetzung haben, lassen uns dies gerne wissen, damit wir es teilen können. Gibt es bereits erste Erfahrungswerte aus der jüngeren Zeit? Wir uns auch hier über Ihre Diskussionsbeiträge.

Weiterlesen

Re-Vision und Re-Sizing. Wie wir jetzt die Post-Corona-Welt neu entwerfen müssen.

Zukunftsforscher Andreas Reiter stellt sich in seinem neuen Blog-Beitrag die Fragen: „Wie sieht die Post-Corona-Welt aus? Wie können wir die Zeit des Transits wirksam nutzen und gestalten, wie bringen wir Gesellschaft und Wirtschaft bestmöglich durch die Krise? Mit welchem Spirit ordnen wir die Post-Corona-Gesellschaft neu, wie wollen wir künftig leben und wirtschaften?.“

Wie sieht die Post-Corona-Welt aus? Der eine wird dystopische Szenarien entwerfen mit einem Shutdown des Kapitalismus, der andere skaliert im Geiste seine in der Krise geborene Start-up-Idee, eine dritte träumt von digitalen Selbstversorger-Communities, in denen sich alle lieb haben und dezentral versorgen. Zukunft freilich ist nie einfach, sondern vielfach.

Eine Gesellschaft braucht – dies ist ein anthropologisches Grundgesetz – auf jeden Fall kraftvolle Narrative, positive mitreißende Bilder, um sich selbst zu finden (oder sich wieder neu zu erfinden). Wie wollen wir morgen (zusammen) leben und wirtschaften? Welche Erzählung geben wir uns als Gesellschaft für die Zukunft, welche Möglichkeiten wollen wir ergreifen? Diese Fragen müssen wir jetzt beantworten – mutig und verantwortungsvoll, denn die Bilder, die wir in die Welt setzen, gehen viral – so wie die Ängste und die Hoffnungen, die eine von totaler Unsicherheit kontaminierte Gesellschaft umtreiben.

Und gerade jetzt, in dieser Zeit der Isolation, des Social Distancing merken wir: wir agieren meist in unseren eigenen Blasen, in unseren jeweiligen sozialen Bubbles, diese konstituieren mehr denn je unsere „Wirklichkeit“ oder die Vorstellung davon, eine CustomizedReality. Dabei ist diese Wirklichkeit wie nie zuvor voller Ambiguitäten, voller Gleichzeitigkeiten des Ungleichzeitigen: Die einen organisieren empathisch Nachbarschaftshilfen wie Kathrin aus Top 18 („Wenn Sie Hilfe brauchen oder jemanden zum Einkaufen etc., rufen Sie mich gerne an“), die anderen verbreiten immer noch Marketing-Chichi in ihren sozialen Netzen („Wir sind mit unseren supertollen digitalen Beratungstools 24/7 für Sie da, mit unseren einzigartigen Video Call-Systemen erhöhen wir Ihre kommunikative Performance“). Postpubertäre Bobo-Kinder feiern Corona-Parties in Berliner Parks, während kreative Start-ups an innovativen smarten Lösungen basteln, die unsere Gesellschaft gerade dringend braucht – ja, und die wahren Helden des Alltags von der Kassiererin bis zur Krankenschwester (Achtung: vorwiegend weiblich!) halten das Notwendigste am Laufen.

Wir haben in den letzten Jahrzehnten schon einige Schwarze Schwänevorbeifliegen und landen sehen (Fukushima, Finanzkrise usf.), doch jetzt ist einer frontal gegen unsere (gesellschaftliche wie individuelle) Großhirnrinde geprallt: Corona. Wir müssen jetzt, gerade in dieser verordneten sozialen Distanz, aufpassen, dass wir als Gesellschaft – aus lauter Sorge und/oder Eigenschutz – die ohnehin starken Bruchlinien zwischen denen „da drinnen“ und denen „da draußen“ nicht weiter vergrößern, wir müssen diese Angst vor dem Anderen, vor der Ungewissheit des weiteren Verlaufs der Pandemie und der wirtschaftlichen Auswirkungen usf. aushalten. „Ohne die Anderen kein Selbst, ohne Ambiguität keine Identität, ohne Verzweiflung keine Hoffnung, ohne Anfang kein Ende. Dazwischen ist die Angst“ (Heinz Bude).

Da die künftige Entwicklung von epidemiologischen Variablen abhängt, die wir nur bedingt beeinflussen können (#flattenthecurve), kann niemand seriös prognostizieren, wie lange der Ausnahmezustand anhalten wird, ob die Krise im Spätsommer vorbei sein wird oder erst in einem Jahr. Virologen (wunderbar besonnen Deutschlands „Chef-Virologe“ Christian Drosten, https://bit.ly/2WuhObv) und Volkswirte revidieren ihre Prognosemodelle im Stundentakt (die EU-Kommission geht derzeit von einer Rezession à la 2009 aus (damals sank das BIP in der EU um 4,3%, andere greifen ganz tief in die Depressions-Kiste. Closed Shop).

Whatever it takes.

Es gibt jetzt aus meiner Sicht zwei Handlungsstränge:

  • jene des Transits (wie bringen wir Gesellschaft und Wirtschaft bestmöglich durch die Krise)
  • und jene des Re-Openings (mit welchem Spirit ordnen wir die Post-Corona-Gesellschaft neu, wie wollen wir künftig leben und wirtschaften?).

Für die Transit-Zeit bis zum Ende der Krise sind dringend staatliche Umverteilungsmechanismen gefordert. Das Kurzarbeitergeld ist so ein erster Schritt, die „unbegrenzten“ Kredite wiederum erreichen viele durch den Shutdown flachgelegte KMU’s nicht – wer nimmt einen Kredit  auf, den er später ohnehin nicht zurückzahlen kann? Stattdessen sollte jetzt – wann wenn nicht in dieser Krise – temporär z.B. ein Grundeinkommen eingeführt werden, um möglichst viele Menschen würdevoll über die nächsten Monate zu bringen.

Machen wir uns nichts vor – es handelt sich hier nicht um eine Krise, die bis zum Sommer durchgestanden sein wird und dann fahren wieder alle fröhlich mit Helikoptergeld auf Urlaub. Wir sind mit voller Wucht hinein katapultiert in eine gesellschaftliche, wirtschaftliche und kulturelle Disruption. Ein Neustart nach der Krise erfordert jetzt ein grundlegendes Umdenken, eine Re-Vision und ein Re-Sizing. Und deshalb gilt es jetzt einen neuen Gesellschaftsvertrag auszuhandeln und dabei zu überlegen:

  • Was stärkt unsere Resilienz? Welche Werte und Ressourcen setzen wir dafür ein? Wie sieht ein wünschenswertes soziales Miteinander aus, wie nachhaltige Lebensqualität von morgen? Welchen Wert hat dabei die Kultur?
  • Wie virtuell wollen wir unsere Gesellschaft gestalten (Corona wird schließlich die digitale Transformation aller Branchen radikal beschleunigen)? Wie können wir mit Predictive Analytics künftig Pandemien und Krisen verhindern? Wie setzen wir Künstliche Intelligenz zum Wohle aller ein, ohne in einer Big Data-Tracking-Diktatur zu landen?
  • Welche Wachstumslogik wollen wir? Welche Vorstellungen von Smart Work haben wir (4-Tage-Woche, Remote Work u.a.)? Wie können wir uns unabhängig machen von globalen Lieferketten? Forcieren wir eine Rück-Verlagerung der Produktion an europäische Standorte durch intensivierte Robotik und Automatisierung, ein Insourcing der Schlüsselindustrien (Automotive, Pharma!)? Wollen wir eine De-Globalisierung light, eine smarte europäische Regionalisierung? Wollen wir ein geeintes Europa oder einen abschottenden Nationalismus?

Viele Fragen. Viel Zeit zum Reflektieren. Viel Zeit, etwas vollkommen Neues auszuprobieren. Was wirklich wichtig ist, lässt sich einfach überdenken: Was werden wir – nach der Krise – am meisten in diesen Zeiten des Social Distancing vermisst haben?

Tourismus-Experten schätzen die Lage ein …

Thomas Jahn, Geschäftsführer der AIB-Kur GmbH und Vorsitzender des Marketingausschusses des Bayerischen Heilbäder-Verband e.V. und Stefan Krieger, Geschäftsführer der Staatsbad Salzuflen GmbH schätzen die Lage ein. Zusätzlich konnten wir mit dem Heilbäderverband Baden-Württemberg e.V. (HBV BW) sprechen und erste Einschätzungen für Baden-Württemberg erhalten:

Wie bewerten Sie die gegenwärtige Geschäftslage der Heilbäder und Kurorte, wie die Geschäftserwartungen der Heilbäder und Kurorte für die nächsten 3 Monate?

Jahn: Es ist davon auszugehen, dass die Umsätze dramatisch einbrechen werden. Tatsache ist, dass sowohl die Gastgeber als auch Gastronomie und Einzelhandel mehr oder weniger komplett still-stehen. Je nach Dauer der jetzt durchgesetzten Maßnahmen rechnen wir mit einem Einbruch von 40% und mehr.

Krieger: Was kommt, wird sich zeigen. Das Coronavirus hat den Tourismus, die Hotellerie und Gastronomie hart getroffen und wird in der Branche Spuren hinterlassen. Gebot der Stunde ist es, nach Vorgabe der Politik Maßnahmenkataloge zu erlassen, die vor allem ein Ziel haben müssen: Gäste, Einwohner, Mitarbeiter und Patienten zu schützen und die Epidemie zeitlich und räumlich zu verlangsamen. Zugleich müssen wir bei der Akutversorgung helfen, wo wir helfen können. Das Staatsbad Salzuflen wird dies aktiv tun und in Absprache mit der im Staatsbad Vitalzentrum unter-gebrachten internistischen Praxis ein Corona-Schnelltest-Zentrum einrichten. Zudem sind wir im Gespräch mit Hotels, die Betten zur Behandlung von Corona-Patienten zur Verfügung stellen wollen.

HBV BW: Die wirtschaftlichen Auswirkungen durch Covid-19 sind für die Heilbäder und Kurorte in Baden-Württemberg, wie für den gesamten Tourismus, massiv. So bemüht sich ein Großteil der Einrichtungen aktuell um Kurzarbeitergeld. Die Folgen sind abschließend nicht absehbar. Wir gehen aktuell von einem massiven Verlust von Fachkräften aus. Darüber hinaus gehen wir davon aus, dass in den kommenden Monaten ein Großteil an finanziellen Rücklagen aufgebraucht sein wird und dies auf mehrere Jahre negative Auswirkungen auf die Innovationsentwicklung haben könnte.

Welche sind die größten Herausforderungen hinsichtlich COVID-19 für die Heilbäder und Kurorte?

Krieger: Wir müssen uns intensive Gedanken darüber machen, welches Angebot zur Langzeit-versorgung von Patienten wir aus der Krise heraus formulieren können. Ich gehe davon aus, dass die Allergien, Lungen- und Atemwegserkrankungen infolge von Corona in den kommenden Jahren stark zunehmen werden. Das ist eine große Chance für Heilbäder und Kurorte ihre Stärken auszuspielen und/oder sich neu zu positionieren.

Jahn: Neben den Gastgebern und der Gastronomie betrifft diese Krise auch die gesamte Leistungskette der Gesundheitsbranche. Die Reha-Kliniken minimieren die Ankünfte oder bereiten sich auf Schließungen vor, die Fachkliniken reduzieren Patienten und auch im ambulanten Bereich fallen fast alle Termine aus. Insofern müssen wir für alle Leistungsträger in unseren Orten Lösungen finden, wie sie diese Zeit überstehen.

Welche Maßnahmen müssen aus Ihrer Sicht als erstes ergriffen werden?

Jahn: Wir müssen dafür sorgen, dass die Betriebe ausreichend Liquidität zur Verfügung haben. Für uns in Bayern ist es eine große Hilfe, dass wir das Sofort-Programm für die Unternehmen bekommen haben. Ein ganz wichtiger Schritt, da ausgedehnt die Ausfallzeiten länger werden. Dazu braucht es klare Ansagen und Perspektiven, damit die Unternehmen planen können.

HBV BW:  Kurzfristig sind aus Sicht unserer Mitglieder Handreichungen (Bsp.: Tipps für Leistungsträger, wie man mit der aktuellen Situation umgehen kann/soll, Rechtsauskünfte und Handlungsempfehlungen), eine klare Organisation der Abläufe (Zuständigkeiten, Ansprechpartner/innen) und finanzielle Unterstützungen ohne hohen bürokratischen Aufwand (Liquiditätshilfen, finanzieller Ausgleich für entgangene Einnahmen, kurzfristige (zinslose) Kredite etc.) von Nöten. Darüber hinaus muss die Versorgung der Rehabilitationspatientinnen und -patienten sichergestellt werden. Auf mittel- und langfristige Sicht sind unserer Mitgliederbefragung zufolge Zuschüsse für Marketing- und Konjunkturprogramme, Fördermaßnahmen, Steuererlass sowie Senkung der MWSt. bspw. auf Essen, Getränke, Thermen- und Saunaeintritt erforderlich. Eine schnelle Bereitstellung der angekündigten Geldmittel zur Liquiditätssicherung ist dabei die Grundvoraussetzung.   

Wir bedanken uns herzlichst bei unseren Interviewpartnern:

Weiterlesen

Umfrage – Kurorte-Klima: Überblick über die aktuelle Geschäftslage und Auswirkungen in Heilbädern und Kurorten.

Die Lage ist dramatisch. Inzwischen sind weltweit in 166 Ländern über 207.000 Infektionsfälle durch den  Coronavirus (COVID-19) bestätigt worden (Weltgesundheitsorganisation, https://www.who.int/). Knapp 11.000 der Infektionsfälle werden in Deutschland gemeldet (Robert-Koch-Institut, www.rki.de/covid-19-fallzahlen). Die Zahl der Corona-Virusinfektionen steigt weiter, sodass Bund und Länder zu drastischen Maßnahmen greifen. Ganz massiv betroffen ist der Tourismus – darunter auch rund 350 Heilbäder und Kurorte in Deutschland. Um Transparenz und klare Fakten zur Lage in den Heilbädern und Kurorten zu schaffen, führen wir eine Kurzbefragung „Kurorte-Klima“ durch, zu der wir Ihnen in regelmäßigen Zeitabständen Auswertungen vorstellen werden. Gerne möchten wir Sie heute schon bitten, sich an dieser Befragung auch weiterhin zu beteiligen.

In der folgenden Infografik haben wir die ersten Ergebnisse und Tendenzen (Stand: 18.03.2020, 00:00 Uhr) unsere Umfrage „Kurort-Klima“ für Sie zusammengestellt:

Umfrage – Kurort-Klima: Überblick über die aktuelle Geschäftslage und Auswirkungen in Heilbädern und Kurorten.

COVID-19 belastet die Wirtschaft. Vor allem die Tourismuswirtschaft leidet extrem unter den Folgen der Pandemie. Für viele Unternehmen der Tourismusbranche sind die Auswirkungen existenzbedrohend, die aktuelle Geschäftslage alarmierend. Gegenwärtig existiert noch kein Überblick zu den Auswirkungen der Krise auf die Heilbäder und Kurorte.

Um Transparenz und klare Fakten zur Lage in den Heilbädern und Kurorten zu schaffen und Sie optimal zu unterstützen, führen wir nebenstehend eine Kurzbefragung durch. Gerne möchten wir Sie bitten, sich an dieser Befragung zu beteiligen.

Die Ergebnisse der Befragung sowie weitere Informationen und Empfehlungen werden wöchentlich über unseren Blog veröffentlicht.

Hier gelangen Sie zu Umfrage: Kurorte-Klima

Wir bedanken uns im Voraus für Ihre Zeit und Ihre Teilnahme! Wir wünschen Ihnen allen in dieser herausfordernden Zeit viel Kraft sowie Mut und Weitblick für wichtige Entscheidungen.

COVID-19: Heilbäder und Kurorte vor großen Herausforderungen – Ansätze zum Umgang mit der Krise.

Inzwischen sind über 6.000 Infektionsfälle durch den  Coronavirus (COVID-19) in Deutschland bestätigt worden (Robert-Koch-Institut, www.rki.de/covid-19-fallzahlen).  Der Ausbruch hat bereits die Wirtschaft empfindlich getroffen. Vor allem die Tourismuswirtschaft leidet extrem unter den Folgen der Pandemie. In ganz Deutschland ist die touristische Nachfrage nahezu zum Erliegen gekommen. Die Dynamik der Ereignisse lässt weder eine abschließende Beurteilung der Folgen insgesamt zu, noch können die Folgen für die Heilbäder und Kurorte auch nur annähernd eingeschätzt werden.

Informationen zu den Auswirkungen auf den Tourismus

Um die Lage übersichtlich und transparent zu machen, veröffentlichen sowohl das Robert-Koch-Institut (RKI) und die Weltgesundheitsorganisation (WHO), als auch Ministerien, Verbände, Organisationen und Einrichtungen aktuelle Entwicklungen. Das von PROJECT M im Auftrag des BMWi betriebene  Kompetenzzentrum Tourismus des Bundes bietet der Tourismuswirtschaft den Zugang zu aktuellen Nachrichten und Wissen, ordnet die aktuellen Entwicklungen neutral ein. Die von uns betriebene Seite ist ein Informationsangebot, nicht zuletzt mit Hinweisen für Fördermöglichkeiten exklusiv für die Tourismuswirtschaft: https://corona-navigator.de/.


Infobox: Allgemeine und tourismusspezifische Informationen zur Corona-Krise

Informationen zum Tourismus (Auswahl)

Allgemeine Informationen (Auswahl)


Ansätze und Perspektiven in Heilbädern und Kurorten

Was können Heilbäder und Kurorte in der aktuellen Krise tun, was wird von Ihnen erwartet? Wir haben eine erste Checkliste aufgebaut, die den Verantwortlichen in Heilbädern und Kurorten Hinweise geben können:

  • Informationen: Sammeln und bewerten Sie alle relevanten Informationen um Auswirkungen von COVID-19 zu identifizieren und um über operative und kommunikative Maßnahmen zu entscheiden. Vertrauen Sie nur etablierten, vertrauenswürdigen Quellen.
  • Kommunikation: Kommunizieren Sie aktiv, regelmäßig und authentisch nach innen: Informieren Sie Ihre Mitarbeiter, Partner, Kunden und Leistungsträger regelmäßig über die aktuelle Lage vor Ort und relevante Maßnahmen.
  • Beratung und Unterstützung der Betriebe: Unterstützen Sie die Betriebe vor Ort nach Kräften. Organisieren Sie Beratungstermine für staatliche Hilfen und Fördermittel, coachen Sie Ihre Betriebe bei der Abwicklung.
  • Monitoring: Erfassen Sie systematisch die Auswirkungen der Corona-Krise auf die Betriebe der Tourismus- und Gesundheitswirtschaft in Ihrem Ort. Vergleichen Sie die Entwicklung in Ihrem Ort mit der in anderen Orten. Organisieren Sie hierzu den erforderlichen Erfahrungsaustausch.
  • Digitale Workflows: Nutzen Sie die Möglichkeit des flexiblen Arbeitens von Zuhause und der Digitalisierung. Unterstützen Sie Ihre Mitarbeiter im Fall eines „Kaltstarts“. Verlagern Sie persönliche Meetings ins Digitale. Nutzen Sie Telefon- und Videokonferenzen, Webinare,  Cloud-Lösungen usw.
  • Maßnahmenjustierung: Nehmen Sie eine umfassende Nachjustierung von Strategien und Maßnahmenplänen, der Marketing- und Mediaplanung u.a.m. vor. Verändern Sie den Schwerpunkt Ihrer Marketingaktivitäten von der Außenkommunikation auf die Binnenkommunikation. Beginnen Sie sich jedoch mit Ihrer Maßnahmenplanung auch für die Zeit nach der Corona-Krise vor.

Diese Ansätze werden fortlaufend aktualisiert.

Weiterlesen

„In Zeiten ständiger Erreichbarkeit und einem Zuviel an Informationen neue Perspektive schaffen: digitale Balance.“

Jannis Wlachojiannis ist Geschäftsführer und Digital Coach für die Betriebliche Suchtprävention Miehle GmbH/OFFLINES – einem innovativen Beratungsunternehmen mit dem Fokus auf die Reflexion des eigenen Medienverhaltens. Er beschäftigte sich vor allem damit, wie sich exzessive Mediennutzung und Internetabhängigkeit auf die Lebensqualität auswirken. Das Ziel seiner Arbeit bei OFFLINES ist es, dabei zu helfen die digitale Balance in Alltag und Berufsleben wiederherzustellen.

Du hast langjährige Erfahrung im Bereich Suchthilfe und Suchtprävention. Was zeichnet Deine Arbeit aus und wo siehst Du Verbindungen zum Tourismus?

Seit 2006 arbeite ich in der Suchtberatung und Suchtprävention. Das waren vordergründig Menschen, die mit legalen und illegalen Drogen Schwierigkeiten hatten oder Ihre Zeit und Geld mit zu viel Internetkonsum oder Glücksspielen verschwenden. Vordergründig ging es bei meiner Arbeit darum Menschen zu begleiten und zu stärken in ihrer Veränderungsmotivation. Das Ziel war für viele meiner Klienten suchtmittelfrei zu leben und sich wieder anderen Dingen wie Freundschaften, Hobbies oder einer geregelten Arbeit widmen. Die Herausforderung oder faszinierende an der Tätigkeit als Suchtberater oder Suchttherapeut ist, die Ressourcen des jeden einzelnen zu erkennen und diese sichtbar zu machen und zu stärken. Zum Thema Tourismus kam ich eher zufällig: Ich hatte immer wieder Klienten, die berichteten, dass sie im Zuge einer zunehmenden Digitalisierung ihr Arbeitsverhalten veränderte. Arbeit geriet zunehmend in Lebensbereiche wie Familie, Freizeitverhalten hinein, was Stress und Probleme aufwarf. Klienten formulierten schon vor ein paar Jahren Sätze wie: „Ich sehne mich nach einem Ort der Ruhe und digitalen Enthaltsamkeit“, sowie „kennen Sie sowas wie Offline-Urlaub?“. Daraus entstand letztendlich unsere Projektidee „OFFLINES“ und die Zusammenarbeit mit PROJECT M.

Was ist Deine Meinung zu den „neuen“ Trends zu mehr Achtsamkeit und Entschleunigung?

Ich denke das Thema digitale balance ist ein Trendthema. Nach den Vorbehalten und Hype zu den Vorteilen der Digitalisierung möchten immer mehr Menschen selbstbestimmter und enthaltsamer auch Ihre Freizeit füllen. Die Rückmeldung bekomme ich aus vielen Bereichen. Einer meiner Kollegen arbeitet mit Schulen zum Thema Mediennutzung, Chancen und Risiken. Fernab von klugen Ratschlägen von Eltern und Pädagogen berichten immer mehr junge Menschen, dass sie die dauerhafte Erreichbarkeit und Verfügbarkeit stresst. Das sollten wir ernst nehmen und schon frühzeitig alternative Angebote schaffen. Was die „Erwachsenenwelt“ betrifft, gibt es durch die vielen Vorzüge wie „Homeoffice“ und immer mehr flexibles Arbeiten in der Arbeitswelt eine Chance jetzt zu schauen, wie man touristische Angebote schaffen kann fernab von Diskussionen wie dem Ausbau des flächendeckenden Internets. Die Menschen, die eine Anfälligkeit haben wie Stress und eine niedrigere psychische Belastbarkeit vorweisen, können in medienfreien Oasen und offline Urlaub auftanken und sich vor Ort Gedanken machen, wie sie zukünftig mit ihrem eigen Medienverhalten umgehen möchten.

Was sind aus Deiner Sicht wichtige Bestandteile für touristische Produkte mit Schwerpunkt Achtsamkeit?

Ich denke das Spektrum von achtsamkeitsbasierten Angeboten ist sehr wirkungsvoll. Ich habe bei Workshops großartige Erfahrungen mit Themen wie „Waldbaden“ oder Achtsamkeitsspaziergänge machen können. Rituale, die im Urlaub erlernt und in den Alltag übertragen werden können geben Struktur und führen nachhaltig zu mehr Achtsamkeit. Die Mischung mit aktivierenden Elementen wie Walking oder Laufeinheiten finde ich sinnvoll, um den Körper auf verschiedene Arten zu spüren und neue Erfahrungen zu machen was individuell guttut.

Welche Rolle wird Mentale Gesundheit zukünftig im Gesundheitstourismus spielen? Und welche Bedeutung werden Reisen zu mehr Achtsamkeit und zu sich selbst zukünftig haben?

Die Gesellschaft spricht aus meiner Sicht immer mehr die High-Performer an. Besser Studium als Ausbildung, schnell fertig werden und in Arbeit gehen. Der Alltag ist sehr getacktet, gerade für junge Menschen, was die Entwicklung bei dem Thema Ganztagsschulen betrifft. Aus meinen Erfahrungen in der Arbeit in einem großen Wohlfahrtsverband in Bewerbungsgesprächen mache ich aber mit Berufsanfänger*innen ganz andere Erfahrungen. Da steht als Mehrwert häufiger die vielen Urlaubstage oder die Möglichkeit die Homeoffices vor Gehaltsfragen. Aus meiner Sichtsehe ich da eine Entwicklung, dass immer mehr jüngere Menschen sich Entschleunigung und Ruhe sowie Selbstbestimmung für ihren Alltag sowie Freizeit wünschen. Den Transfer und die Entwicklung würde ich auch für den Tourismus als Chance sehen und auf Angebote mit Achtsamkeit und (digitaler) Entschleunigung setzen.

Welche Potenziale und welche Herausforderungen siehst Du für den Tourismus in Bezug auf mentale Gesundheit?

Es gibt Regionen in Deutschland wo es genau das gibt, was sich beispielweise Städter wünschen und durch das Arbeitsleben und die enge Taktung eine geringe Rolle spielen: Natur, Entschleunigung, Zeit fürs Auftanken und wenig Reize. Die zunehmende Digitalisierung mit all den Vorteilen verursacht bei vielen Menschen aber auch zusätzlichen Stress. Bei einem Leidensdruck und Veränderungsmotivation hilft oft ein Ortswechsel wo sich die Zielgruppe in einer anderen Umgebung darüber gezielt und strukturiert Gedanken machen soll: Wie möchte ich zukünftig arbeiten? Wie sieht mein Verhalten aus in Bezug auf die Mediennutzung? Bin ich ein gutes Vorbild gegenüber meinem Mitarbeiter*innen und/oder Kindern?, Was tut mir gut? Wie kann ich auftanken und vor allem wie kann ich ein Teil davon wieder in meinem (beruflichen) Alltag umsetzen?

Jannis Wlachojiannis beschäftigt sich aktuell mit dem Thema “Digitale Balance in Zeiten einer zunehmenden Digitalisierung”. Welche Chancen und Perspektiven es für den Tourismus gibt, werden wir in einem nächsten Beitrag erfahren.

Weiterlesen

„Reisen ermöglichen Veränderungen. Das ist ein Mehrwert.“

Reisen als verändernde Kraft im Leben der Menschen: Wolfgang Isenberg über den wiederentdeckten Wert der Reiseerfahrung, blinde Flecken der Branche und die Zukunft des Massentourismus.

Herr Dr. Isenberg, Sie beobachten die Tourismusbranche schon sehr lange. Welches Thema halten Sie aktuell für sehr wichtig und welche Entwicklungen können Sie ausmachen?

In den letzten Jahren hatte ich Gelegenheiten, das Thema Tourismus aus ganz unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten. Interessante Fragen sind und werden es auch sicherlich bleiben: „Was erwarten Reisende eigentlich? Was wollen sie erleben? Was macht sie glücklich?“ Bei der Urlaubsgestaltung spielt zunehmend der Aspekt der Sinnsuche eine nicht unerhebliche Rolle. Das geht durchaus einher mit den Überlegungen: „Welche Angebote kann der Tourismus zur Veränderung der Lebensgestaltung und der Orientierung bereitstellen?“ Die Gewissheit, dass Ortsveränderungen und die damit verbundenen Erfahrungen Impulse für die persönliche Entwicklung auslösen (können), gilt als Grundkonstante. Auch wenn diese Anmerkungen zunächst noch als Nischenthema erscheinen mögen, damit lässt sich Reisen aber als wertvoller Aspekt und vielversprechendes Instrument der Sammlung von Erfahrungen verstehen. Dies spiegelt das Bedürfnis wider, sich selbst mit der Welt in Beziehung zu bringen. Bemerkenswert ist in diesem Kontext auch, dass Unternehmen ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, manchmal sicherlich noch etwas zögerlich, kreative Auszeiten und Gelegenheiten gewähren, die Welt in Form von Sabbaticals, persönlichen Projekten oder Praktika zu erkunden. Die Welt sehen, Natur erleben, soziales Engagement oder Selbstverwirklichung sind vielfach die Motive für eine solche Auszeit. Ortswechsel helfen, die Welt und vor allem aber auch sich selbst neu wahrzunehmen. In Verbindung mit den zu erwartenden Änderungen bei den Arbeitskulturen gehören die harten Abgrenzungen von Freizeit und Arbeit bald weitgehend der Vergangenheit an.

Veränderungen erfahren wir laut Hartmut Rosa durch Resonanzerfahrungen. Wie können diese beim Reisen aussehen und welchen Unterschied sehen Sie hier zu heutigem Reiseverhalten?

Nach Hartmut Rosa ist Resonanz ein Begriff, der für ein sinnerfülltes Leben stehen kann: Menschen erfahren ihr Leben dann als sinnvoll, wenn sie Resonanzbeziehungen zu ihrer Umwelt aufbauen können. Für viele sind Urlaub und Reisen inzwischen die eigentlichen Erfahrungsfelder für Lebensbalance, Ruhe und Besinnung. Im Urlaub finden sie oft entsprechende Angebote und professionelle Unterstützung, die im Alltag nicht immer direkt zugänglich sind.

So empfehlen sich Reisen regelrecht als Erfahrungsräume für Resonanz. Das setzt aber voraus, dass Reisende bereit und daran interessiert sind, mit der Welt an touristischen Orten in Beziehung zu treten und sich auf Natur, Menschen, Kunst oder zum Beispiel Architektur einzulassen und über Zusammenhänge nachdenken. Dieses Interesse zeigt das Bedürfnis, sich selbst auf Reisen mit der Welt in Beziehung zu setzen. Voraussetzungen sind das Verlassen einer hermetisch abgegrenzten touristischen Welt, das Sich-Einlassen auf korrespondierende persönliche Bezüge und das Verständnis, dass das Finden authentischer Lebenswelten in touristisch inszenierten Kulissen enden kann. Die Auffassung Rosas öffnet eine besondere Sichtweise auf den Wert des Reisens, zumal sie auch in aktuellen Reisetendenzen aufscheint.

Die Tourismuskritik der 1970er und 1980er Jahre unterstellte Touristen oftmals die Unfähigkeit und ein mangelndes Interesse an selbsttätigen und kreativen Erfahrungen der Umwelt im Urlaub. Gegenwärtig lassen sich deutlich zwei Entwicklungen festhalten: Die „Destination Ich“ gilt als anerkannte Zielperspektive. Dahinter steht das bereits benannte Bedürfnis, auf Reisen sich selbst verändern zu wollen, die Suche nach Inspiration, das Leben fühlen und begreifen. Und: Die Erlebniskultur auf Reisen verändert sich und bewegt sich in Richtung „Destination Alltag“. Gesucht wird die Begegnung mit dem sogenannten Authentischen, dem lebendigen, echten Leben vor Ort.

Glauben Sie, dass es in Zukunft noch die extreme Form des Massentourismus nach dem Ballermann-Prinzip geben wird?

Diese Art von Tourismus hat es in unterschiedlichen Ausprägungen schon zu anderen Zeiten und an anderen Orten gegeben. An Rhein oder Mosel waren in der Vergangenheit einmal ähnliche Erscheinungen zu beobachten, an die heute niemand mehr so gerne erinnert werden will. Es hat sich gezeigt, dass diese Exzesse leider nur schwer zu reglementieren und zu vermeiden sind. Durch eine fehlende soziale Kontrolle hat Urlaub neben neuen Welterfahrungen auch immer Raum für Grenz- und Tabuüberschreitungen eröffnet. Das sollte aber nicht den Blick dafür verstellen, dass Reisende mit ihren Erfahrungen auch Agentinnen und Agenten eines sozialen Wandels sein können. Reisen und Urlaub sind Inspirationsquelle und Ausgangspunkt für Veränderungen im Leben. Das ist ein echter Mehrwert. Reisende denken, weit entfernt von ablenkenden Zwängen des Alltags und der Arbeit, durchaus über sich und ihre persönlichen Ziele nach. Sie treffen ihr Leben verändernde Entscheidungen, zum Beispiel in Bezug auf Beziehungen oder den Beruf.

Beobachten Sie denn schon Anbieter, die nicht nur einen temporären Ausbruch aus dem Alltag versprechen, sondern auch das neue Bedürfnis von Reisenden nach anhaltenden Veränderungserfahrungen adressieren? Und können solche Angebote auch den Massentourismus bedienen?

Die Lufthansa startet in die Urlaubssaison 2019 mit einer Fortsetzung ihrer Kampagne #LifeChangingPlaces. Unter dem Leitgedanken #SayYesToTheWorld zielt sie auf Entdeckerlust. Inhaltlich fokussiert sie bereichernde Erlebnisse und die inspirierende Wirkung von Reisen an Orte, die einen Perspektivwechsel ermöglichen sowie eine Lebensweise fern der gewohnten verkörpern. Nicht nur das Interesse an sinnstiftenden Erfahrungen wird den touristischen Markt in Zukunft verändern. Die Plattformökonomie wird zu weiteren Strukturveränderungen führen und das Geschäftsmodell der Reiseveranstalter unter Druck setzen. Die Veränderungen gehen aber noch weiter: Unternehmen investieren deutlich in das Ausflugsgeschäft, in die Begleitung der Reisenden am Urlaubsort. Wanderungen, Weinproben oder Erlebnistouren sollen neben Hotels und Kreuzfahrten mit der Investition in das Start-up „Musement“ das nächste Wachstumsfeld der TUI werden. Vorstandschef Fritz Joussen möchte es zum führenden volldigitalisierten Anbieter für Destination Experience machen. Auf dem Markt in dem eher kleinteiligen Geschäft mit Touren und Aktivitäten sind aber schon GetYourGuide, Expedia Local Expert, Viator, Airbnb, rent-a-guide oder Adventure World Tours und andere unterwegs. Auch Destinationen werden hier aktiv: Der Turismo de Tenerife verfügt inzwischen über eine eigene Plattform, auf der Reisende neben Exkursionen Wanderungen, Besichtigungen oder Sternebeobachtungen buchen können. Die Vermarktung des „Authentischen“ geschieht darüber hinaus auch unter einer anderen Perspektive: Zur Entlastung besonders stark frequentierter In-Viertel schickt visitBerlin Besucher mit der App „Going Local Berlin“ in die Randbezirke, abseits der bekannten Pfade, um Berlin wie ein „echter Local“ zu erleben.

Gibt es denn Ihren Erfahrungen nach auch noch blinde Flecken, die die Branche hier hat?

Die Branche ist gegenwärtig, verständlicherweise, ziemlich gefangen von den Themen Strukturveränderung, Marktdurchdringung und fokussiert sich auf ihre Wertschöpfung. Fragen eines Kulturwandels in der touristischen Arbeitsorganisation oder eines interdisziplinären Blickes auf das Gesamtspektrum der Treiber touristischer Entwicklungen bleiben eher die Ausnahme. Wegbereiter für eine wertschätzende Unternehmenskultur mit mehr Sinn und Potenzialentfaltung bei seinen Mitarbeitenden ist gegenwärtig sicherlich das Unternehmen Upstalsboom, das seine Mission als Querdenker der Branche und seine werteorientierte Unternehmensphilosophie auch in das Zentrum der kommunikativen Arbeit stellt: Sinnstiftende Perspektiven werden sowohl für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Unternehmens als auch für die Gäste gleichermaßen entwickelt. Der Ausflug der Reisebranche in das Lab-Zeitalter verläuft nur kurz. Vorreiter in den Jahren 2010 und folgende sind die TUI AG mit ihrem Thinktank „Leisure and Tourism“ oder der Schweizer Veranstalter Kuoni, inzwischen Teil der DER Touristik Group. Kuoni interessierte sich für die psychologischen Wirkungen sowie die lebensverändernden Erfahrungen ihrer reisenden Gäste und veröffentlichte auch die entsprechenden Ergebnisse. Damit sind wir dann wieder beim Thema Resonanz: Wichtig ist es zu fragen, welche Veränderungsleistungen Reisen tatsächlich haben, nicht nur als Konsumgut, sondern als Mehrwert.

Gibt es denn Akteure in der Branche, die hier schon weiter sind? Wer wird der Vorreiter eines Resonanz- Tourismus werden?

Auf den Wunsch nach Stille, nach Entschleunigung oder auf die Suche nach Sinn antworten zahlreiche touristische Angebote. Die Tourismus-Agentur Schleswig-Holstein bietet zum Beispiel Schlafstrandkörbe an als „Glückserlebnis“ im Rahmen der Imagekampagne „Das ist Glück“. In Bayern lassen sich mit „stade zeiten“ entspannte Tage, stille Momente oder spirituelle Auszeiten hinter Klostermauern und auf Pilgerwegen inmitten schöner Landschaften erleben. Das Netzwerk „Wege zum Leben. In Südwestfalen.“ erschließt das spirituelle Potenzial der Region. Bewohnerinnen, Bewohner und Gäste werden in eine Kulturlandschaft geführt, die reichhaltig durch Kirchen, Bildstöcke und durch andere Formen christlicher Symbolik geprägt ist, an Landschaftsgrenzen, an Plätze mit beeindruckenden Ausblicken und an symbolhafte Landschaftselemente wie Berggipfel. Oder der „Meditationsweg Ammergauer Alpen“, der auf Kraftorte verweist. „Südtirol Balance“ fordert dazu auf, zur Ruhe zu kommen und an Kraftplätzen neue Energie zu sammeln. Die Österreich Werbung will mit naturbegegnenden Reisen den Menschen in Resonanz zur Mitwelt und sich selbst bringen. Und nicht zu vergessen das Waldbaden: Waldbaden, die naturbezogene Praxis, die darauf ausgerichtet ist, das allgemeine Wohlbefinden aus der Kraft der Natur zu stärken.

Es sind gerade Destinationen wie Südtirol, die sich abwenden von den klassischen touristischen Marketingtools. So werden unter dem Slogan „Was uns bewegt“ in kurzen filmischen Sequenzen auf einer Plattform Geschichten von Menschen aus Südtirol erzählt, wie sie leben, was ihnen wichtig ist. Es werden Themen aufgegriffen, die alle betreffen, ob im Urlaub oder zuhause, sie zeigen Lebenskonzepte, fragen nach dem guten Leben. Da ist zum Beispiel die erste Winzerin, die mit ihren Töchtern in die Elite der italienischen Weinszene aufrückt. Ein Journalist findet Stille, er geht für drei Tage ins Kloster. Oder Architekten, die keine Häuser, sondern, wie sie es ausdrücken, Geschichten bauen. Konsequent verzichtet Südtirol 2019 auf seinen ITB-Messeauftritt und nutzt alternativ das Berlin Travel Festival als Bühne für seine Präsentation, um das Land mit Geschichten von Südtirolern, der gemeinsamen Zubereitung von Knödeln, der Verkostung von Weinen, Speck oder Apfelsorten effizienter und direkter zu bewerben. Bei den Besuchern des Festivals werden eher die Menschen vermutet, die in ihren Werthaltungen Reisen als persönlich weiterbringende Erlebnisse verstehen.

Auf Mallorca ist die Stiftung Itinerem gestartet, eine private Initiative, die die traditionellen, meist abgelegenen, bisher kaum zugänglichen Landgüter der Insel, oft einige Jahrhunderte alt, für Ausflüge, Gespräche und Besichtigungen zugänglich machen will. So entsteht langsam eine Angebotspalette für Menschen, die sich überraschen lassen möchten und definitiv ein Interesse an der Kultur Mallorcas haben. Die Initiatoren der Stiftung sehen reine Strandurlauber nicht als potenzielle Besucherinnen und Besucher: eine deutliche Entscheidung.

Dieses Interview erschien in der Tourismus-Trendstudie des Zukunftsinstituts:  Der neue Resonanz-Tourismus. Frankfurt 2019, S. 37-40. Die Fragen stellte Verena Muntschick. Das Zukunftsinstitut erlaubte freundlicherweise den Abdruck.


Bezugsquelle: Die Trendstudie „Der neue Resonanz-Tourismus“ Frankfurt 2019, 116 Seiten, ISBN: 978-3-945647-62-2, 225,00 € inkl. USt., kann bezogen werden über das Zukunftsinstitut. www.zukunftsinstitut.de