„Systemrelevanter Bestandteil der Gesundheitswirtschaft: Heilbäder und Kurorte leisten unverzichtbaren Beitrag zur Bewältigung der Corona-Krise!“ – Präsidentin Brigitte Goertz-Meissner im Gespräch

Die 350 staatlich anerkannten Heilbäder und Kurorte in Deutschland sind mit ihren kurörtlichen Einrichtungen, Leistungen und Rehabilitationskliniken ein systemrelevanter, unverzichtbarer Teil der Gesundheitswirtschaft und des Gesundheitsversorgungssystems. Sie sind ausgewiesene Versorgungs- und Kompetenzzentren für Nachsorge und Gesundheitsprävention und verfügen über medizinisch-therapeutische Kompetenzen und Qualifikationen, um einen substanziellen Beitrag in der Krise leisten zu können. In der Regel in den ländlichen Räumen gelegen, haben sie auch eine besondere strukturpolitische Bedeutung – im Hinblick auf ihre Wirtschaftskraft, die medizinische und therapeutische Versorgung der Bevölkerung im ländlichen Raum und ihre gesellschaftliche Bedeutung. So stehen die Orte für knapp ein Drittel aller Übernachtungen in Deutschland und 510.000 hoch qualifizierte Arbeitsplätze.

“Die Kommunen der Heilbäder und Kurorte müssen dringend finanzielle Unterstützung erhalten!” betont Brigitte Goertz-Meissner, Präsidentin des Deutschen Heilbänderverbandes e.V. Was jetzt für die Heilbäder und Kurorte wichtig ist? Hierzu waren wir mit Brigitte Goertz-Meissner im Gespräch.

Brigitte Goertz-Meissner, Präsidentin des Deutschen Heilbänderverbandes e.V.

GTB: Der Deutsche Heilbäderverband e.V. hat gemeinsam mit den Landes- und Spartenverbänden und unter fachlicher Begleitung von PROJECT M und KECK Medical ein Papier „Bewältigung der Corona-Pandemie und ihrer Folgen: Der Beitrag der Heilbäder und Kurorte in Deutschland“ mit Forderungen nach finanzielle Unterstützungsmaßnahmen und der unmittelbaren, schrittweisen Öffnung der Gesundheitsrichtungen und -angebote erarbeitet und veröffentlicht. Was sind die Kernaussagen in diesem Papier?

Goertz-Meissner: Die Corona-Pandemie und ihre Folgen stellen die 350 Heilbäder und Kurorte in Deutschland vor existenzbedrohende Herausforderungen. Nicht nur Rehabilitationskliniken, Mutter/Vater-Kind-Kliniken und Beherbergungsbetriebe, sondern auch kommunale Thermen, Bäder, Kurmittelhäuser, Trink- und Wandelhallen uvm mussten schließen. Ausgerichtet auf die zahlreichen Patienten (oft chronisch Kranke) sowie auf gesundheitsbewusste Gäste haben die oft kleinen Kommunen eine äußerst kosten- und personal-intensive Gesundheitsinfrastruktur zu finanzieren bei aktuell Null Einnahmen! Vielerorts drohen Insolvenzen, die von Experten bereits vor Mitte des Jahres erwartet werden. 
Dass auch die Kommunen der Heilbäder und Kurorte dringend finanzielle Unterstützung erhalten müssen, um ihre in der Regel personal- und kostenintensiven Gesundheitseinrichtungen zu erhalten ist unsere dringlichste Forderung. Vor diesem Hintergrund fordern der Deutsche Heilbäderverband e.V., die Landesheilbäderverbände sowie die Spartenverbände folgende Maßnahmen:

  • Das bestehende Soforthilfepaket des Bundes und der Länder soll künftig auch kurörtlichen Unternehmen in einem staatliche anerkannten Kur- und Heilbad unabhängig von der Gesellschafts- und Rechtsform zur Verfügung gestellt werden. Dies soll ebenfalls für alle kurörtlichen Einrichtungen der Heilbäder und Kurorte in kommunaler Trägerschaft gelten wie beispielsweise Gesundheitszentren, Thermen, Gesundheitsbäder.
  • Die prädikatisierten Heilbäder und Kurorte sollen eine Pauschalförderung in Höhe der durch die Corona-Pandemie ausgelösten Mindereinnahmen im Bereich der Kurtaxe, der Fremden-verkehrsabgabe und der Einbußen durch nicht erfolgte kurörtliche Veranstaltungen erhalten.
  • Die Vergabe von KfW-Krediten für kurörtliche Unternehmen und Einrichtungen soll unabhängig von der Gesellschafts- und Rechtsform der Betriebe und Organisationen zinslos und mit einer Laufzeit von 10 bis 15 Jahren, bei einer Aussetzung der Tilgung im ersten Jahr, erfolgen. Weitere Optionen für zusätzliche zinslose Darlehen sind darüber hinaus erforderlich.
  • Der Umsatzsteuersatz für alle Umsatzbereiche in kurörtlichen Gesundheitseinrichtungen, wie z.B. Thermen, Gesundheitszentren, Kurmittelhäuser soll auf 7 % gesenkt werden.
  • Für die Entwicklung und Bereitstellung von Maßnahmen der Nachsorge von durch SARS-COV-2 direkt und indirekt ausgelösten Erkrankungen sollen den Heilbädern und Kurorten Fördermittel zur Verfügung gestellt werden.

Neben den finanziellen, dringend notwendigen Unterstützungsmaßnahmen ist es notwendig, die Gesundheitsangebote und -einrichtungen unmittelbar wieder zu öffnen, wobei der Schutz der Gesundheit selbstverständlich oberste Priorität hat. Was die erforderlichen Schutz- und Hygieneanforderungen anbelangt können die Heilbäder und Kurorte ihre langjährige Erfahrung und Kompetenz einbringen.

GTB: Die Heilbäder und Kurorte nehmen eine wichtige gesellschaftliche und gesundheitspolitische Funktion in der Nachsorge und Gesundheitsprävention ein. Warum ist eine unmittelbare Öffnung aus Ihrer Sicht so wichtig und was muss in den Heilbädern und Kurorten im Besonderen beachtet werden?

Goertz-Meissner: In der Folge der Corona-Pandemie werden nicht nur die unmittelbaren Folgen einer Corona-Erkrankung therapiert werden müssen sondern auch Begleiterkrankungen wie zum Beispiel psychische Belastungen, kardiologische und psychosomatische Folgeerkrankungen. Darüber hinaus müssen wir davon ausgehen, dass in Kürze gehäuft Patienten in unseren Rehabilitationskliniken therapieren werden müssen, die ihre Operationen aufgrund der Pandemie verschieben mussten oder wollten. Rehabilitation und Kuren im Hinblick auf die direkt und indirekt ausgelösten Krankheitsbilder erfahren somit einen erheblichen Bedeutungszuwachs. Auf diesen müssen wir uns alle schnellstmöglich vorbereiten.

GTB: Die Corona-Pandemie wird wohl auch umfassende mittel- und langfristige Auswirkungen haben. Wie wird sich die Pandemie aus Ihrer Sicht mittel- und langfristig auf die Heilbäder und Kurorte als wichtiger Bestandteil der Gesundheitswirtschaft auswirken? Welche Herausforderungen aber auch Chancen sehen Sie diesbezüglich?

Goertz-Meissner: Die größte Herausforderung wird sein, mit Soforthilfeprogrammen und Fördermitteln die hochwertigen, personal- und kostenintensiven,  in meinen Augen heute mehr denn je benötigten Gesundheitsinfrastrukturen  unserer Heilbäder und Kurorte zu erhalten und baldmöglichst den Bürgerinnen und Bürgern wieder zugänglich zu machen. Das sich in den vergangenen über 10 Jahren kontinuierlich steigende Gesundheitsbewusstsein der Bevölkerung, wird nach der Pandemie weiter wachsen.
 
Aufgrund der sich abzeichnenden Wirtschafts- und Finanzkrise wäre es in meinen Augen dringend erforderlich, dass auch der weniger einkommensstarken Bevölkerungsschicht der Zugang zu einer ambulanten Vorsorgemaßnahme (Kur) ermöglicht wird. In den vergangenen Jahren war die kontinuierlich wachsende Nachfrage in unseren Heilbädern und Kurorten eindeutig auf die einkommensstarke Bevölkerungsschicht zurückzuführen, die eine ambulante Vorsorgemaßnahme – oft in regelmäßigen Abständen – privat finanziert wahrnehmen konnte. Primär handelt es sich bei unseren Gästen, die eine ambulante Vorsorgemaßnahme oder sonstige Gesundheitsangebote wahrnehmen, um chronisch Kranke, wie z.B.  Rheumatiker, Asthmatiker, psychosomatisch Erkrankte oder Menschen mit dermatologischen oder orthopädischen Krankheitsbildern.
Sie alle können ihre Lebensqualität steigern, schlimmere Krankheits-verläufe hinauszögern oder gar abwenden. Diese Chance sollte man allen Bürgerinnen und Bürgern ermöglichen weshalb wir seit vielen Jahren schon fordern, dass die ambulante Vorsorgemaßnahme nach §23 SGB V als Pflicht- und nicht wie bisher als Kann-Leistung verankert wird.   
Heilbäder und Kurorte sind ausgewiesene Versorgungs- und Gesundheitskompetenzzentren für Nachsorge und Gesundheitsprävention. Sie sind ein wichtiger Bestandteil im der Gesundheitswirtschaft und des Gesundheitssystems. Ich bin mir sicher, dass sie in und auch nach der Corona-Pandemie einen wichtigen Beitrag leisten können. Mittel- und langfristig werden sie immer weiter an Bedeutung gewinnen. Das Gesundheitsbewusstsein der Menschen wird nach der Pandemie noch deutlicher steigen. Der Trend nach natürlichen Heilmitteln ist ebenso seit Jahren erkennbar wie der Wunsch nach einer ganzheitlicher. All das bieten die staatliche anerkannten Heilbäder und Kurorte mit ihrer über 125-jährigen medizinischen und therapeutischen Tradition und Innovation.  

GTB: Vielen Dank für das gute Gespräch, Frau Goertz-Meissner. Bleiben Sie gesund!


Geschrieben von Isabell Decker

Ich bin Consultant bei der PROJECT M GmbH, einer Unternehmensberatung, die führend im Medizin- und Gesundheitstourismus ist. Ich bin verantwortlich für das Kompetenzfeld Gesundheit und befasse mich intensiv mit dem Gesundheitstourismus, bin in unterschiedlichsten Kurorten und Heilbädern von den Bergen bis zur See unterwegs und auf Landesebene aktiv. Besonders spannend ist dabei die Zusammenarbeit sowohl mit Touristikern als auch Medizinern. Ein Schwerpunkt meiner Arbeit liegt auf der zielgruppenspezifischen Vermarktung gesundheitstouristischer Angebote und Produkte.


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