Author: Andreas Reiter

Re-Vision und Re-Sizing. Wie wir jetzt die Post-Corona-Welt neu entwerfen müssen.

Zukunftsforscher Andreas Reiter stellt sich in seinem neuen Blog-Beitrag die Fragen: „Wie sieht die Post-Corona-Welt aus? Wie können wir die Zeit des Transits wirksam nutzen und gestalten, wie bringen wir Gesellschaft und Wirtschaft bestmöglich durch die Krise? Mit welchem Spirit ordnen wir die Post-Corona-Gesellschaft neu, wie wollen wir künftig leben und wirtschaften?.“

Wie sieht die Post-Corona-Welt aus? Der eine wird dystopische Szenarien entwerfen mit einem Shutdown des Kapitalismus, der andere skaliert im Geiste seine in der Krise geborene Start-up-Idee, eine dritte träumt von digitalen Selbstversorger-Communities, in denen sich alle lieb haben und dezentral versorgen. Zukunft freilich ist nie einfach, sondern vielfach.

Eine Gesellschaft braucht – dies ist ein anthropologisches Grundgesetz – auf jeden Fall kraftvolle Narrative, positive mitreißende Bilder, um sich selbst zu finden (oder sich wieder neu zu erfinden). Wie wollen wir morgen (zusammen) leben und wirtschaften? Welche Erzählung geben wir uns als Gesellschaft für die Zukunft, welche Möglichkeiten wollen wir ergreifen? Diese Fragen müssen wir jetzt beantworten – mutig und verantwortungsvoll, denn die Bilder, die wir in die Welt setzen, gehen viral – so wie die Ängste und die Hoffnungen, die eine von totaler Unsicherheit kontaminierte Gesellschaft umtreiben.

Und gerade jetzt, in dieser Zeit der Isolation, des Social Distancing merken wir: wir agieren meist in unseren eigenen Blasen, in unseren jeweiligen sozialen Bubbles, diese konstituieren mehr denn je unsere „Wirklichkeit“ oder die Vorstellung davon, eine CustomizedReality. Dabei ist diese Wirklichkeit wie nie zuvor voller Ambiguitäten, voller Gleichzeitigkeiten des Ungleichzeitigen: Die einen organisieren empathisch Nachbarschaftshilfen wie Kathrin aus Top 18 („Wenn Sie Hilfe brauchen oder jemanden zum Einkaufen etc., rufen Sie mich gerne an“), die anderen verbreiten immer noch Marketing-Chichi in ihren sozialen Netzen („Wir sind mit unseren supertollen digitalen Beratungstools 24/7 für Sie da, mit unseren einzigartigen Video Call-Systemen erhöhen wir Ihre kommunikative Performance“). Postpubertäre Bobo-Kinder feiern Corona-Parties in Berliner Parks, während kreative Start-ups an innovativen smarten Lösungen basteln, die unsere Gesellschaft gerade dringend braucht – ja, und die wahren Helden des Alltags von der Kassiererin bis zur Krankenschwester (Achtung: vorwiegend weiblich!) halten das Notwendigste am Laufen.

Wir haben in den letzten Jahrzehnten schon einige Schwarze Schwänevorbeifliegen und landen sehen (Fukushima, Finanzkrise usf.), doch jetzt ist einer frontal gegen unsere (gesellschaftliche wie individuelle) Großhirnrinde geprallt: Corona. Wir müssen jetzt, gerade in dieser verordneten sozialen Distanz, aufpassen, dass wir als Gesellschaft – aus lauter Sorge und/oder Eigenschutz – die ohnehin starken Bruchlinien zwischen denen „da drinnen“ und denen „da draußen“ nicht weiter vergrößern, wir müssen diese Angst vor dem Anderen, vor der Ungewissheit des weiteren Verlaufs der Pandemie und der wirtschaftlichen Auswirkungen usf. aushalten. „Ohne die Anderen kein Selbst, ohne Ambiguität keine Identität, ohne Verzweiflung keine Hoffnung, ohne Anfang kein Ende. Dazwischen ist die Angst“ (Heinz Bude).

Da die künftige Entwicklung von epidemiologischen Variablen abhängt, die wir nur bedingt beeinflussen können (#flattenthecurve), kann niemand seriös prognostizieren, wie lange der Ausnahmezustand anhalten wird, ob die Krise im Spätsommer vorbei sein wird oder erst in einem Jahr. Virologen (wunderbar besonnen Deutschlands „Chef-Virologe“ Christian Drosten, https://bit.ly/2WuhObv) und Volkswirte revidieren ihre Prognosemodelle im Stundentakt (die EU-Kommission geht derzeit von einer Rezession à la 2009 aus (damals sank das BIP in der EU um 4,3%, andere greifen ganz tief in die Depressions-Kiste. Closed Shop).

Whatever it takes.

Es gibt jetzt aus meiner Sicht zwei Handlungsstränge:

  • jene des Transits (wie bringen wir Gesellschaft und Wirtschaft bestmöglich durch die Krise)
  • und jene des Re-Openings (mit welchem Spirit ordnen wir die Post-Corona-Gesellschaft neu, wie wollen wir künftig leben und wirtschaften?).

Für die Transit-Zeit bis zum Ende der Krise sind dringend staatliche Umverteilungsmechanismen gefordert. Das Kurzarbeitergeld ist so ein erster Schritt, die „unbegrenzten“ Kredite wiederum erreichen viele durch den Shutdown flachgelegte KMU’s nicht – wer nimmt einen Kredit  auf, den er später ohnehin nicht zurückzahlen kann? Stattdessen sollte jetzt – wann wenn nicht in dieser Krise – temporär z.B. ein Grundeinkommen eingeführt werden, um möglichst viele Menschen würdevoll über die nächsten Monate zu bringen.

Machen wir uns nichts vor – es handelt sich hier nicht um eine Krise, die bis zum Sommer durchgestanden sein wird und dann fahren wieder alle fröhlich mit Helikoptergeld auf Urlaub. Wir sind mit voller Wucht hinein katapultiert in eine gesellschaftliche, wirtschaftliche und kulturelle Disruption. Ein Neustart nach der Krise erfordert jetzt ein grundlegendes Umdenken, eine Re-Vision und ein Re-Sizing. Und deshalb gilt es jetzt einen neuen Gesellschaftsvertrag auszuhandeln und dabei zu überlegen:

  • Was stärkt unsere Resilienz? Welche Werte und Ressourcen setzen wir dafür ein? Wie sieht ein wünschenswertes soziales Miteinander aus, wie nachhaltige Lebensqualität von morgen? Welchen Wert hat dabei die Kultur?
  • Wie virtuell wollen wir unsere Gesellschaft gestalten (Corona wird schließlich die digitale Transformation aller Branchen radikal beschleunigen)? Wie können wir mit Predictive Analytics künftig Pandemien und Krisen verhindern? Wie setzen wir Künstliche Intelligenz zum Wohle aller ein, ohne in einer Big Data-Tracking-Diktatur zu landen?
  • Welche Wachstumslogik wollen wir? Welche Vorstellungen von Smart Work haben wir (4-Tage-Woche, Remote Work u.a.)? Wie können wir uns unabhängig machen von globalen Lieferketten? Forcieren wir eine Rück-Verlagerung der Produktion an europäische Standorte durch intensivierte Robotik und Automatisierung, ein Insourcing der Schlüsselindustrien (Automotive, Pharma!)? Wollen wir eine De-Globalisierung light, eine smarte europäische Regionalisierung? Wollen wir ein geeintes Europa oder einen abschottenden Nationalismus?

Viele Fragen. Viel Zeit zum Reflektieren. Viel Zeit, etwas vollkommen Neues auszuprobieren. Was wirklich wichtig ist, lässt sich einfach überdenken: Was werden wir – nach der Krise – am meisten in diesen Zeiten des Social Distancing vermisst haben?

Nervöse Zeiten, blühende Natur

Natur und Gesundheit sind laut Werte-Index 2018 des Marktforschungsunternehmens Kantar TNS die wichtigsten Werte der Deutschen. Auch Zukunftsforscher Andreas Reiter bestätigt in seinem neuen Blog-Beitrag: „In Zeiten zunehmender Unsicherheit und Volatilität sehnt sich der Mensch nach einem Ort, an dem er wieder in Resonanz mit sich und der Welt gelangt.“

Gärten waren zwar schon seit eh und je, seit Beginn der menschlichen Zivilisation, kunstvolle Inszenierungen, begehbare pflanzliche Erzählungen – doch noch nie war dieses kuratierte Staunen derart massenwirksam wie heute. Gärten sind zum Ventil einer hypernervösen Stadtgesellschaft geworden, Sehnsuchts-Orte in einer Welt der Nicht-Orte.

Ob in den Büros der digitalen Dienstleister oder entlang von Häuserfassaden (Vertical Garden), ob auf dem eigenen Balkon oder auf städtischen Freiflächen (Urban Gardening) – wucherndes Grün umschmeichelt die Augen, entlüftet die Seele und entlastet das Mikroklima.

Das große Comeback der Gärten (auch als Destination) ist jedoch eine unmittelbare Reaktion auf die von vielen als stressig und bedrohlich empfundene Digital-Moderne. Die Welt zerfranst, wird ungreifbarer, Grenzen (und damit Haltepunkte) verschwimmen. In Zeiten zunehmender Unsicherheit und Volatilität sehnt sich der Mensch nach einem Ort, an dem er wieder in Resonanz mit sich und der Welt gelangt.

Pflanzen sind die legitimen Drogen der Digital Natives, die Wertschätzung natürlicher Kreisläufe ist quasi ein Grundgesetz. Auf Instagram tummeln sich Plantfluencer, biophile Stores schießen in den westlichen Metropolen aus dem Boden wie einst die Coffee Shops. „Das Naturschöne ist dem Digitalschönen entgegengesetzt“, so der Philosoph Byung-Chul Han.

Immer neue Spielarten der Natur-Erfahrung poppen auf, aktuell etwa das „Waldbaden“, mit dem Touristiker ihre Botanik und Besucherfrequenz neu aufladen möchten. Gerne wird da auf Japan verwiesen, wo das Shinrin-yoku (Waldluftbad) eine traditionelle Freizeitaktivität ist und „Waldmedizin“ ein eigener Forschungszweig an Universitäten. Keine Frage, so ein Wald wirkt entschleunigend: Jeder von uns, der gestresst ist, spürt die Wirkung dieses natürlichen Beruhigungsmittels: Die Stille, die schützenden Baumkronen über uns, der weiche Boden unter den Füßen… Der Geruch der Bäume hüllt uns wohltuend ein, ihre Botenstoffe (Terpene, ätherische Öle etc.) umschmeicheln unser limbisches System. Der Blutdruck sinkt, die Stimmung steigt. Aber deswegen gleich Forest Bathing? Schwachsinn!

Was wirklich wichtig ist (wir beobachten diesen Wertewandel seit längerem), ist das aktive Erfahren und kreative Gestalten von Natur – also eben nicht Baden!, sondern Anfassen, Tun. Pflanzen, Jäten, Schneiden, Ernten. Man will die Welt begreifen und dafür macht man sich nur allzu gerne die Hände schmutzig. „Indem kulturelle Güter nicht nur benutzt, sondern auch erlebt werden, werden sie erinnerbar“, sagt der Soziologe Andreas Reckwitz. Die Lebensenergie entsteht durch Anstrengung.

Der Garten ist gewissermaßen Sinnbild eines evolutionären Wachstums, einzig abhängig von Jahreszeiten und Klima – dieses Werden und Vergehen, Blühen und Verwelken der Natur haben wir Menschen anthropologisch tief in uns eingespeichert. Somit ist der Garten eine natürliche Gegenwelt zum disruptiven Wachstum der digitalen Wirtschaft. In dieser „Anverwandlung von Welt“ (Hartmut Rosa) liegt seine starke Anziehungskraft – insbesondere in Zeiten digitaler Transformation.

Gärten sind, konsumanthropologisch gesprochen, Orte der kulturellen Verfeinerung. Sie sind performative Orte (also dann doch wieder irgendwie kapitalistische Abbilder). Im Garten des frühen 21. Jahrhunderts verschränken sich etliche Motive:

  • Die Rache des Analogen: Der Gärtner macht sich, die Ärmel hochgekrempelt, die Welt wieder begreiflich. Ja, er wird handgreiflich, wühlt in der Erde, geht der Sache auf den Grund. Symbolisch stehen Gärten für menschliche Kreation, für die Sehnsucht nach evolutionärem Wachstum, einem Gebilde, das keinem Algorithmus, sondern einzig den Launen der Natur (Wind und Wetter) ausgesetzt ist.
  • Die kuratierte Natur: mit einem Masterplan wird das Natur-Schöne ent- und die Natur unterworfen, einem natürlichen Display gleich, mit passenden Features. Alles Negative wird ausgeblendet (Trockenheit, Unwetter) – die Natur hat als Wohlfühl-Oase und Paradies on demand zu funktionieren.
  • Convenient Nature: Gartenarbeit ist mühsam, die Zeit des Gärtners meist begrenzt. Daher sind Convenience-Produkte wie wasserspeichernde Blumenerde gefragt oder ein langsam wachsender Rasen, der eine zu intensive Pflege erspart. Wie gut, dass es Wetter-Apps und Überwachungsdrohnen gibt.

(Hobby-)Gärtner wissen es längst: gutes Leben ist schönes Leben. Die ästhetische Ausgestaltung des eigenen Lebens findet im Garten ihre äußerste Fortsetzung. Flower up your life. Oder, wie es ein Werbeclaim formuliert: „Mach es zu deinem Projekt.“

Bettgeschichten: Gesunder Schlaf – ein lohnendes Thema im Gesundheitstourismus?

Wer gut schläft, lebt gesünder – und besser! Diese altbekannte Weisheit hält zunehmend auch Einzug in den Gesundheitstourismus. Vom „Guten und gesunden Schlaf“ in der Hotellerie über den „Gesunden Schlaf mittels der Kneippschen Lehre“ bis zu schlafmedizinischen Angeboten findet sich inzwischen für das Viertel der Bevölkerung, das von Schlafstörungen bzw. mangelnder Schlafqualität betroffen ist, eine breite Palette von Angeboten im Gesundheitstourismus.