Tourismus-Experten schätzen die Lage ein …

Thomas Jahn, Geschäftsführer der AIB-Kur GmbH und Vorsitzender des Marketingausschusses des Bayerischen Heilbäder-Verband e.V. und Stefan Krieger, Geschäftsführer der Staatsbad Salzuflen GmbH schätzen die Lage ein. Zusätzlich konnten wir mit dem Heilbäderverband Baden-Württemberg e.V. (HBV BW) sprechen und erste Einschätzungen für Baden-Württemberg erhalten:

Wie bewerten Sie die gegenwärtige Geschäftslage der Heilbäder und Kurorte, wie die Geschäftserwartungen der Heilbäder und Kurorte für die nächsten 3 Monate?

Jahn: Es ist davon auszugehen, dass die Umsätze dramatisch einbrechen werden. Tatsache ist, dass sowohl die Gastgeber als auch Gastronomie und Einzelhandel mehr oder weniger komplett still-stehen. Je nach Dauer der jetzt durchgesetzten Maßnahmen rechnen wir mit einem Einbruch von 40% und mehr.

Krieger: Was kommt, wird sich zeigen. Das Coronavirus hat den Tourismus, die Hotellerie und Gastronomie hart getroffen und wird in der Branche Spuren hinterlassen. Gebot der Stunde ist es, nach Vorgabe der Politik Maßnahmenkataloge zu erlassen, die vor allem ein Ziel haben müssen: Gäste, Einwohner, Mitarbeiter und Patienten zu schützen und die Epidemie zeitlich und räumlich zu verlangsamen. Zugleich müssen wir bei der Akutversorgung helfen, wo wir helfen können. Das Staatsbad Salzuflen wird dies aktiv tun und in Absprache mit der im Staatsbad Vitalzentrum unter-gebrachten internistischen Praxis ein Corona-Schnelltest-Zentrum einrichten. Zudem sind wir im Gespräch mit Hotels, die Betten zur Behandlung von Corona-Patienten zur Verfügung stellen wollen.

HBV BW: Die wirtschaftlichen Auswirkungen durch Covid-19 sind für die Heilbäder und Kurorte in Baden-Württemberg, wie für den gesamten Tourismus, massiv. So bemüht sich ein Großteil der Einrichtungen aktuell um Kurzarbeitergeld. Die Folgen sind abschließend nicht absehbar. Wir gehen aktuell von einem massiven Verlust von Fachkräften aus. Darüber hinaus gehen wir davon aus, dass in den kommenden Monaten ein Großteil an finanziellen Rücklagen aufgebraucht sein wird und dies auf mehrere Jahre negative Auswirkungen auf die Innovationsentwicklung haben könnte.

Welche sind die größten Herausforderungen hinsichtlich COVID-19 für die Heilbäder und Kurorte?

Krieger: Wir müssen uns intensive Gedanken darüber machen, welches Angebot zur Langzeit-versorgung von Patienten wir aus der Krise heraus formulieren können. Ich gehe davon aus, dass die Allergien, Lungen- und Atemwegserkrankungen infolge von Corona in den kommenden Jahren stark zunehmen werden. Das ist eine große Chance für Heilbäder und Kurorte ihre Stärken auszuspielen und/oder sich neu zu positionieren.

Jahn: Neben den Gastgebern und der Gastronomie betrifft diese Krise auch die gesamte Leistungskette der Gesundheitsbranche. Die Reha-Kliniken minimieren die Ankünfte oder bereiten sich auf Schließungen vor, die Fachkliniken reduzieren Patienten und auch im ambulanten Bereich fallen fast alle Termine aus. Insofern müssen wir für alle Leistungsträger in unseren Orten Lösungen finden, wie sie diese Zeit überstehen.

Welche Maßnahmen müssen aus Ihrer Sicht als erstes ergriffen werden?

Jahn: Wir müssen dafür sorgen, dass die Betriebe ausreichend Liquidität zur Verfügung haben. Für uns in Bayern ist es eine große Hilfe, dass wir das Sofort-Programm für die Unternehmen bekommen haben. Ein ganz wichtiger Schritt, da ausgedehnt die Ausfallzeiten länger werden. Dazu braucht es klare Ansagen und Perspektiven, damit die Unternehmen planen können.

HBV BW:  Kurzfristig sind aus Sicht unserer Mitglieder Handreichungen (Bsp.: Tipps für Leistungsträger, wie man mit der aktuellen Situation umgehen kann/soll, Rechtsauskünfte und Handlungsempfehlungen), eine klare Organisation der Abläufe (Zuständigkeiten, Ansprechpartner/innen) und finanzielle Unterstützungen ohne hohen bürokratischen Aufwand (Liquiditätshilfen, finanzieller Ausgleich für entgangene Einnahmen, kurzfristige (zinslose) Kredite etc.) von Nöten. Darüber hinaus muss die Versorgung der Rehabilitationspatientinnen und -patienten sichergestellt werden. Auf mittel- und langfristige Sicht sind unserer Mitgliederbefragung zufolge Zuschüsse für Marketing- und Konjunkturprogramme, Fördermaßnahmen, Steuererlass sowie Senkung der MWSt. bspw. auf Essen, Getränke, Thermen- und Saunaeintritt erforderlich. Eine schnelle Bereitstellung der angekündigten Geldmittel zur Liquiditätssicherung ist dabei die Grundvoraussetzung.   

Wir bedanken uns herzlichst bei unseren Interviewpartnern:


Geschrieben von Isabell Decker und Detlef Jarosch

Isabell Decker

Ich bin Consultant bei der PROJECT M GmbH, einer Unternehmensberatung, die führend im Medizin- und Gesundheitstourismus ist. Ich bin verantwortlich für das Kompetenzfeld Gesundheit und befasse mich intensiv mit dem Gesundheitstourismus, bin in unterschiedlichsten Kurorten und Heilbädern von den Bergen bis zur See unterwegs und auf Landesebene aktiv. Besonders spannend ist dabei die Zusammenarbeit sowohl mit Touristikern als auch Medizinern. Ein Schwerpunkt meiner Arbeit liegt auf der zielgruppenspezifischen Vermarktung gesundheitstouristischer Angebote und Produkte.


Detlef Jarosch

Ich bin Standortleiter München der PROJECT M GmbH und standortübergreifender Bereichs-leiter (gesundheitsorientierte) Infrastruktur. Ich habe mich speziell der Erlebbarmachung des Gesundheitstourismus und dem nachhaltigen Betrieb entsprechender Infrastruktur verschrie- ben und verstehe gesundheitstouristische Einrichtungen als Erlebnisraum. In meiner Zeit als Regionalmanager, Projektmanager und Geschäftsführer in unterschiedlichen Gesundheits- regionen verfolgte ich genau diese Ziele. Das einzigartige PPP-Projekt Oversum Vitalresort Winterberg (NRW), welches ich als verantwortlicher Projektsteuerer mitentwickelte, ist ein geeignetes Beispiel für meine Vorstellung von zeitgemäßer Produktentwicklung im Gesundheitstourismus.


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