Die Therme der Zukunft – ein Gesundheitstempel? – Marktchancen und Auswirkungen
Mehrere Hunderttausend Euro Defizit pro Jahr. Veraltete Infrastruktur, zu wenig Erneuerungsinvestitionen. Keine Alleinstellung, nur me too-Konzepte. Gegenstand permanenter Diskussion in der Politik: Manchem Verantwortlichen in Heilbädern und Kurorten treibt schon der Wortlaut „Thermen und Bäder“ den Schweiß auf die Stirn. Doch es zeichnen sich neue Lösungen ab: weniger Spaß & Spa, mehr Gesundheit.
Gesundheit als Chance zur Reduzierung des Defizits
Die Leitstudie Kompetenzanalyse der Heilbäder und Kurorte in Deutschland hat es deutlich gemacht: Thermen und Bäder stellen für gesundheitsorientierte Gäste das wichtigste Angebot dar. Für gut 70% der Gesundheitsreisenden sind sie wichtig oder sehr wichtig. Gesundheitsreisende geben bei einem passenden Angebot deutlich mehr Geld aus. Hervorheben möchte ich speziell Tagesgäste mit aufenthaltsbezogenen Durchschnitts- ausgaben von rund 42 € für Eintritte und bis zu fast 70 € für Wellness- & Beauty- anwendungen.
Was muss eine Therme bieten, um mit Gesundheitsangeboten zu punkten? Wo gibt es bereits gute Beispiele? Diese Fragen beschäftigten uns in der jüngst mit Gemeinderäten durchgeführten Exkursion in ausgewählte Vorzeige-Einrichtungen in Deutschland und Österreich. Zur Orientierung: Allein in Deutschland gibt es 3.000 Thermen und Bäder, davon mehr als 200 in den rund 350 hoch prädikatisierten Heilbädern und Kurorten. Diese Thermen und Bäder in den Heilbädern und Kurorten kann man drei Typen zuordnen:
Typ 1: Thermen mit Schwerpunkt auf Heilmitteln und Anwendungen
Das sind eher kleinteilig strukturierte und bezüglich des Angebotes den Kurmittelhäusern ähnelnden Thermen und Bäder. Die neueren Anlagen sind meist recht puristisch in der Gestaltung gehalten. Ihnen gelingt es, durch z.B. kleinere Wasserflächen, umfassende Reha-Sport- und Aquakursangebote sowie auch einem zumindest kleinen SPA/Wellness- und Saunaangebot die Wirtschaftlichkeit zu optimieren. Im Mittelpunkt steht jedoch das Angebot oft heilmittelbasierter Anwendungen mit medizinisch-therapeutischem Hintergrund. Das Wasser- und Saunaangebot stellt eher eine Abrundung als die Hauptattraktion dar. Gute Beispiele sind das Badehaus auf Norderney mit Fokus auf Thalasso oder das Kurzentrum Waren an der Müritz (Mecklenburg-Vorpommern). Auch das Sybillenbad in der Oberpfalz (Bayern) ist dazu zu zählen.
Badehaus Norderney
Typ 2: Thermen mit Schwerpunkt Sauna, SPA und Wellness sowie starker Regionalität
Im Vordergrund steht bei Typ 2 das Sauna- sowie SPA/Wellness-Angebot mit oft ausgeprägter Kulinarik in „loungiger Atmosphäre“. Ergänzt um Fitness und/oder therapeutische Anwendungen und Kursangebote sowie Innen- und Außenbadeangeboten. Als gut gelungene Neuentwicklungen der letzten Jahre sollten Sie sich die Spreewaldtherme (Brandenburg), die Emser Therme in Bad Ems (Rheinland-Pfalz) oder die BodetalTherme Thale (Sachsen-Anhalt) näher ansehen. Ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal zum nachfolgenden Typ 3 ist neben der Größe der deutliche Bezug in Gestaltung und Angebotsstruktur zum Ort bzw. zur Region: Im Spreewald stellen „Gurkenfässer“ die Saunen und Wannen dar. In der Bodetal Therme gibt es den deutlichen Bezug zum Hexentanzplatz.
Spreewaldtherme
Typ 3: Erlebnisorientierte Großthermen mit ergänzendem Kurs- und Präventionsangebot
Dieses Typus ist geprägt durch enorm große Flächen und Angebot mit den Kernbausteinen Thermalbad, Saunalandschaft und Gastronomie. Sie werden meist privat investiert und profitorientiert betrieben, ggf. mit Betriebskostenzuschüssen für bestimmte kommunale Leistungen (z.B. Schul- und Vereinsschwimmen). Gesundheitlich orientierte Angebote finden sich in Form von Aquagymnastik und speziellen Aufgüssen als Mehrwert für den Gast sowie ggf. ergänzenden Wellnessanwendungen gegen Aufbuchung. Ein wirklicher Regions- oder Ortsbezug ist bei diesen Einrichtungen selten, vielmehr werden „Sehnsuchtsräume“ gestaltet, z.B. Palmenlandschaften, orientalische Welten etc. Typische Beispiele sind die Therme Bad Wörishofen (Bayern) oder die Bali Therme in Bad Oeynhausen (NRW).
Therme Bad Wörishofen
Neue Chancen für ganzheitliche Gesundheitskonzepte
Die drei Typen sprechen teils unterschiedliche Zielgruppen an. Alle haben gemeinsam, dass sich noch zu wenige wirklich mit dem gesundheitlichen Markt auseinander gesetzt haben und die vorhandenen Chancen nutzen:
Aspekte wie regionale Bezüge (bezogen auf Heilmittel, Materialien, Produkte), Echtheit, durchgängige Thematisierung und im besten Sinne nachhaltige Angebote finden sich noch zu selten. Gerade die örtlichen Heilmittel bieten gute Möglichkeiten, mit Regionalität und Authentizität zu punkten und dem Bedürfnis der Gäste nach mehr Naturbezug zu entsprechen. Positive Beispiele wurden bereits unter Typ 1 und 2 genannt.
Auch Barrierefreiheit und Allergikerfreundlichkeit sind Services, mit denen Thermen spezifischer an ihre Zielgruppen herantreten können. Allein 20 Mio. Menschen in Deutschland leiden an einer Allergie, oftmals gleichzeitig an mehreren (z.B. Atemwege und Haut) – Tendenz weiter steigend. Hinzu kommen noch die Nahrungsmittelunverträglich- keiten. Eine Ausrichtung auf diese Zielgruppen böte gute Marktchancen. Erstaunlich: Eine erkennbare klare Ausrichtung auf Allergiker findet sich bisher in keiner Therme – ansatzweise in wenigen SPA/Wellness-Bereichen entsprechend zertifizierter Hotels nach den Kriterien des European Center für Allergy Research Foundation (kurz: ECARF, siehe www.ecarf.org ).
Große Bedeutung kommt neben dem Anwendungsangebot großzügigen aber gleichzeitig gemütlichen Rückzugsbereichen mit Nischen und gewisser Privatsphäre zu. Dann kann der ruhesuchende Gast wirklich abschalten, hält sich länger in der Einrichtung auf und gibt damit auch mehr Geld aus. Hier kommt auch die Gastronomie ins Spiel: In guten Einrichtungen trägt sie bis zu einem Drittel zum Umsatz bei. Das wird beispielhaft umgesetzt bezüglich Gastronomie in der Bodetal Therme Thale und hinsichtlich der Ruhebereiche in der carpesol Therme in Bad Rothenfelde (Niedersachsen).
Der Markt ändert sich bereits – zahlreiche Neuprofilierungen
Immer mehr Heilbäder und Kurorte befassen sich aktuell mit der Neuprofilierung und Ausrichtung der Schlüsseleinrichtungen Thermen und Bäder. Nicht zuletzt weil die gegenwärtigen Einrichtungen deutlich in die Jahre gekommenen sind und das ausgelöste Defizit oft in keiner Relation zur Wertschöpfung mehr steht. Sei es Oberstdorf (Bayern) mit einer bis 2020 komplett neuen Vitaltherme mit Sichtbarmachung des Geschäftsfeldes Gesundheit für rund 30 Mio. € in Ortskernlage. Oder die Erweiterung des NASS in Arnsberg (NRW) als Keimzelle einer kurörtlichen Standortentwicklung. Ebenso Bad Königshofen (Bayern) mit dem Relaunch der FrankenTherme oder Nidda / Bad Salzhausen (Hessen) mit der Justus von Liebig Therme als „Kurmittelhaus 3.0“.
Veranstaltungstipp: Veranstaltungsreihe zur Ausrichtung auf Gesundheit in Thermen und Bädern
Nächstes Jahr findet an verschiedenen Standorten in Deutschland eine Veranstaltungsreihe zu genau dem Thema Gesundheit als Chance zur Defizitreduzierung in Thermen und Bädern statt, ergänzt um die Aspekte technische Innovationen, rechtliche Herausforderungen sowie Marketing und Vertrieb. Der Auftakt erfolgt am 15. und 16. Februar am Campus in Arnsberg NRW mit Fachvorträgen und -ausstellung sowie Forum zum Erfahrungsaustausch. Näheres dazu folgt in Kürze.
[…] Mehrere Hunderttausend Euro Defizit pro Jahr. Veraltete Infrastruktur, zu wenig Erneuerungsinvestitionen. Keine Alleinstellung, nur me too-Konzepte. Gegenstand permanenter Diskussion in der Politik: Manchem Verantwortlichen in Heilbädern und Kurorten treibt schon der Wortlaut „Thermen und Bäder“ den Schweiß auf die Stirn. Doch es zeichnen sich neue Lösungen ab: weniger Spaß & Spa, mehr Gesundheit. […]