Senioren, Rollatoren, Kurschatten & Co

Senioren, Rollatoren, Kurschatten & Co. – Wie kann sich ein Kurort ein zeitgemäßes Image geben? Ein Beitrag zu Positionierung und Marke

Kürzlich bei einem Gastvortrag an der Ostfalia Hochschule Salzgitter antworteten die Studenten auf meine Frage nach ihren Assoziationen zu Heilbädern und Kurorten klischeebeladen: Kur, Reha, Rollatoren, ältere Menschen, Kurschatten. Wie zäh sich Images halten, erkennt man daran, dass die allermeisten Studenten noch nie gezielt in einem Kurort waren. Wollen und können die Orte mit dieser Wahrnehmung leben? Ich denke nicht!

Auch die 14.500 deutschlandweit bevölkerungsrepräsentativ im Rahmen der der Studie „Kompetenzanalyse der Heilbäder und Kurorte“ Befragten  bescheinigen den deutschen Heilbädern und Kurorten insgesamt die größte Wahrnehmung für die gesundheitliche Reiseform „Kur“ (54%). Es folgen gesundheitliche Erholungsaufenthalte (52%) und mit deutlichem Abstand Präventions- (45%) und Wellnessaufenthalte (44%).

Gäste auf der Suche nach Wohlbefinden – Profilierung entsprechend Interessen und Bedürfnissen

Das Interesse der potenziellen Gesundheitsreisenden verhält sich teils entgegengesetzt zur Kompetenzwahrnehmung: Während gesundheitliche Erholungsaufenthalte klar vorn stehen, liegt die Kur lediglich auf Rang 6, ein Drittel der Befragten interessiert sich dafür. Laut einer Untersuchung der Hochschule Kempten und der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) verstehen die Deutschen unter einem „Gesundheitsurlaub“ heute auch weniger eine klassische Kur oder Reha sondern viel mehr „Etwas für das körperliche und seelische Wohlbefinden tun“ (57 % aller Nennungen).

Wie kann sich ein Kurort entsprechend den Interessen und Erwartungen der Gäste als attraktive Gesundheitsdestination positionieren? Angesichts des erheblichen Nachfragevolumens  (vgl. z.B. Artikel Medizin und Tourismus) könnte man im Gesundheitstourismus von einem massenmarktähnlichen Selbstläufer ausgehen. Vielmehr haben wir es jedoch mit einer Vielzahl verschiedener, anspruchsvoller Marktsegmente zu tun. „Segmentierung“ heißt also das Zauberwort: Erfolgreiche Orte und Regionen bedienen anstelle von „Gesundheitsreisen“ oder allgemeinen „Kuren“ einen speziellen Angebotsschwerpunkt für spezifische Zielgruppen und richten sich mit ihrer gesamten Leistungskette auf diesen aus. Doch wofür genau möchte ein Kurort künftig stehen? Ein Beispiel dafür, wie man sich der Antwort nähern kann:

Deutschlands bekanntester Kurort Bad Kissingen – seit neuestem mit spezifischem gesundheitstouristischem Marktprofil

Bad Kissingen

Bekanntheit ist nicht alles. Der Gast benötigt eine konkrete Vorstellung und einen attraktiven Grund, warum er  gerade in den einen Kurort reisen sollte. Deutschlands bekanntester Kurort Bad Kissingen will künftig mit einem spezifischen Profil am Markt wahrgenommen werden. Bad Kissingen ist aus Gästesicht bisher inhaltlich nicht mit einem markanten Kompetenzprofil profiliert. Die größte Wahrnehmung besteht für das Thema Kur. Die Kompetenzzuchreibung für andere Marktsegmente oder auch die Behandlung unterschiedlicher Krankheitsbilder ist eher durchschnittlich.

In einem Expertenforum aus Vertretern der Stadt sowie den örtlichen Leistungsträgern aus Medizin und Tourismus hat die Staatsbad Bad Kissingen GmbH die spezifischen Besonderheiten des fränkischen Kurortes herausgearbeitet. Unter dem Dach „Mentale Gesundheit und gesunder Lebensstil“ (Arbeitstitel) bündelt Bad Kissingen nun seine Kompetenzen aus Kliniken, Gesundheitsdienstleistern, Hotellerie, Heilmitteln und Therme, Telemedizin und Chronobiologie. Herausgearbeitet wurden Facetten für unterschiedliche Zielgruppen von Gesunden, die ihre Widerstandfähigkeit stärken möchten,  bis hin zu Erkrankten, die resilienter im Umgang mit ihrer Krankheit gemacht werden sollen.

Erfahren Sie mehr im Beitrag des Bayerischen Rundfunks:

BR-Mediathek Beitrag Bad Kissingen

Weitere Beispielorte zeigen ebenfalls, wie man sein Profil zu einer charakteristischen Marke prägt:

Norderney spitzt sein Profil als Thalasso-Insel zu. Das Thalasso-Nordseeheilbad hat es sich zum Ziel gesetzt, bis 2020 Europas Thalasso-Insel Nummer Eins zu werden. Mit Thalasso setzt die Insel außergewöhnliche Akzente und unterstreicht ihre diesbezügliche Kompetenz, z.B. im Leitbetrieb bade:haus norderney und mit infrastrukturellen Maßnahmen wie Thalasso-Kurwegen und Thalasso-Plattformen am Strand. Der Qualitätsanspruch wird durch externe Zertifizierungen wie durch das Europäische Prüfinstitut für Wellness & SPA e.V. untermauert.

Thalasso-Insel Norderney

Bad Reichenhall positioniert sich als kompetenter „Atemort“ für atemwegs- und lungenkranke Patienten. Unter der Marke formiert sich ein interdisziplinäres Netzwerk von Atemdienstleistern, bestehend aus Kliniken, Ärzten und Kureinrichtungen mit markenstützenden Angeboten zu AtemGesundheit, AtemPrävention, zur AtemKur, aber auch im Bereich der akuten Lungenmedizin. Durch professionelle Gesundheitskommunikation werden die Werte und Kompetenzen des bayerischen Kurortes in die jeweilige Zielgruppe von Endkunden bis hin zu Zuweisern getragen.

Atemort Bad Reichenhall

Bad Hindelang im Allgäu profiliert sich als Allergikerfreundliche Kommune“ und wurde von der European Center of Allergy Research Foundation (ECARF) mit dem Qualitätssiegel für Allergikerfreundlichkeit ausgezeichnet. Ein Netzwerk aus aktuell 115 allergikerfreundlich klassifizierten Unternehmen entlang der gesamten Servicekette ist komplett auf die Bedürfnisse von Allergikern eingestellt – von milbendichten Bettbezügen im Hotel bis zu glutenfreien Backwaren im Einzelhandel. Auch das allergenarme Heilklima unterstützt das Leistungsversprechen Bad Hindelangs seinen Gästen „Urlaubsqualität trotz Allergien“ zu bieten.

Bad Hindelang Allergikerfreundlich

Bei diesen Beispielen würde kaum jemand an Rollatoren und die klassische Kur denken. Sie zeigen, wie sich Kurorte mit einer gut positionierten Marke glaubhaft und zukunftsfähig im Wettbewerb um Medizin- und Gesundheitstouristen behaupten können. Schlüssel zum Erfolg für jedes denkbare Markenprofil ist eine hohe Identifikation im Ort. Örtliche Anbieter aus Medizin und Tourismus sowie weiteren Branchen müssen frühzeitig, intensiv und dauerhaft in die Profilentwicklung einbezogen werden. Denn: Die Marke nach außen funktioniert nur, wenn sie die Identität des Ortes von innen heraus widerspiegelt.

Welche Erfahrungen haben Sie mit Positionierungs- und Markenbildungsprozessen gemacht? Welche Marktbeispiele sind Ihnen ggf. besonders in Erinnerung geblieben?


Geschrieben von Anne Dorweiler

Ich bin Consultant bei der PROJECT M GmbH, einer Unternehmensberatung, die führend im Medizin- und Gesundheitstourismus ist. Als Co-Autorin der Studie „Kompetenzanalyse der Heilbäder und Kurorte“ befasse ich mich seit mehreren Jahren intensiv mit dem Gesundheitstourismus, bin in unterschiedlichsten Kurorten von den Bergen bis zur See unterwegs und auf Landesebene aktiv. Besonders spannend ist dabei die Zusammenarbeit sowohl mit Touristikern als auch Medizinern. Ein Schwerpunkt meiner Arbeit liegt auf der zielgruppenspezifischen Vermarktung gesundheitstouristischer Angebote und Produkte.


1 Kommentare

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